Die Verfuehrung Des Ritters
er, und ohne nach hinten zu schauen, ob sie gehorchte, senkte er den Kopf und schritt unter einem tief hängenden Ast hindurch. Als er sich wieder aufrichtete, standen sie in der Mitte einer Lichtung.
Ein alter, selten genutzter Pfad führte auf der anderen Seite der Lichtung zwischen Farn weiter ins Dunkel des Waldes. Inmitten der Lichtung ragten die verfallenen Überreste eines Gebäudes in den Himmel. Es war riesig und ungeschlacht, die Wände aus Holz und Flechtwerk halb eingefallen. Nur die Steinwände standen noch.
Und auch sie waren dem Verfall preisgegeben.
Nach Plünderungen und Feuer war nicht mehr viel vom Gebäude vorhanden. An der Bückseite des Gebäudes waren drei traurige Stockwerke geblieben, die beinahe mürrisch über die eingestürzten Reste der Vorderseite wachten. In den wenigen Fenstern leuchteten Kerzen, und es sah aus, als klaffte ein gieriger zahnloser Schlund auf. In dieser finsteren Nacht wirkte das Gebäude grimmig und beinahe lebendig.
Er hörte, wie sie hinter ihm scharf Luft holte. Der Hengst warf den Kopf hoch und machte einen Schritt zur Seite.
»Ruhig, Noir«, murmelte er.
Gwyn starrte auf das Gebäude. »Ich habt doch von einem Gasthaus gesprochen.«
»Das hier ist ein Gasthaus.« Er streckte ihr die Hände hin, um ihr aus dem Sattel zu helfen.
»Das da«, bemerkte sie piepsiger Stimme und zeigte auf das Gebäude, »ist kein Gasthaus.«
»Ein Gasthaus beherbergt Reisende, oder?«
Sie wollte schon nicken, unterließ es dann aber und neigte stattdessen den Kopf, um Pagan anzusehen. »Nein. Ich meine, ja.«
»Also ist es ein Gasthaus«, sagte er, als wäre das Thema damit erledigt.
Wieder streckte er ihr auffordernd die Hände entgegen. Sie warf ihm einen verächtlichen Blick zu, löste die Filztasche von Noirs Sattel und stieg auf der anderen Seite des Schiachtrosses aus dem Sattel. Noir trat mit einem Hinterhuf aus. Er schien sie kaum zu vermissen. Unter dem Bauch des Hengstes hindurch beobachtete Griffyn, wie sie zum Kopf des Pferdes ging, wo er sie mit einem kühlen Blick empfing.
»Ihr seid wohl gewillt, jeden Teil Eures Körpers zu verletzen, ehe die Nacht vorbei ist. Kann das sein?«
»Hmmm«, schnaubte sie.
Im Moment waren die Verletzungen ihres Körpers das Letzte, worum Gwyn sich sorgte. Viel mehr beunruhigte sie das aufgeregte Pochen ihres Herzens, sobald Pagan sie anschaute. Es gemahnte sie an den Schmerz. Aber das hier war anders, obwohl es an denselben Stellen in ihrem Körper - im Herzen, im Bauch -
ruhte. Es lastete nicht wie eine schwere Decke auf ihr, die alle Sinneseindrücke dämpfte.
Es war gefährlich.
»Hmmm«, machte sie erneut und verschränkte die Arme vor der Brust.
Jeder Muskel in ihrem Köipcr fühlte sich wund an. Der Herbstwind hatte dafür gesorgt, dass sich ihre Finger und Zehen wie erfroren anfühlten. Ihre Kleidung trocknete allmählich, und der nasse Dreck hatte sich in jeder Falte festgesetzt.
Zudem hatte Pagans Kuss sie so sehr verwirrt, dass sie kaum noch klar denken konnte. Sie starrte auf die Fassade des Gebäudes und tat, als bemerkte sie nicht, dass er sie von der Seite ansah. »Und wo steckt der Gastwirt?«
In diesem Moment eilte ihnen ein Mann entgegen. Pagan ging ihm mit weit ausgreifenden Schritten entgegen, und sie trafen sich in der Mitte der Lichtung.
Gwyn beobachtete die beiden Männer, von deren Unterhaltung sie kein Wort verstand. Dann nahm der Mann Noir am Zügel und verschwand mit ihm in einem etwas abseits gelegenen Gebäude, das offenbar als Stall diente.
Im nächsten Augenblick kamen mehrere Männer aus der Ruine gelaufen und rannten in den Stall. Wenige Augenblicke später galoppierten sie auf ihren Pferden davon und hoben die Hand zum Gruß, als sie an Pagan vorbeiritten und dann im Wald verschwanden.
Pagan kam zu ihr zurück. Sein Gesicht war grimmig. »Kommt.«
»Das war der Gastwirt?«, fragte sie betont fröhlich.
Er wirkte nicht besonders erfreut.
»Und seine Bediensteten, nehme ich an?« Sie strahlte ihn an und nickte in die Richtung, in der die Männer verschwunden waren.
Er wandte sich von ihr ab und marschierte auf das zerfallene Gebäude zu.
Ihr Blick bohrte sich in seinen breiten Rücken, doch Pagan schien ihre Feindseligkeit nicht zu spüren. Noch schien es ihn zu kümmern, dass sie stehen geblieben war. Er drehte sich weder zu ihr um noch ging er langsamer.
Seufzend folgte Gwyn ihm und bahnte sich einen Weg durch das hohe, vom Tau benetzte Gras. »Viele Gäste können sie ja nicht
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