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Die Verfuehrung Des Ritters

Die Verfuehrung Des Ritters

Titel: Die Verfuehrung Des Ritters Kostenlos Bücher Online Lesen
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Nehmt die versteckten Wege und sprecht mit niemandem, John.
    Everoot steht auf dem Spiel.«
    Die Frau wiederholte die Nachricht Wort für Wort, dann zog sie sich zurück. Gwyn schaute zur Wanne. Jetzt konnte sie nur noch warten und hoffen, dass ihre Freunde in Cantebrigge glaubten, dass die Nachricht tatsächlich von ihr stammte. Eine hehre Hoffnung.
    In diesen gesetzlosen Zeiten verließ sich niemand auf etwas anderes als auf den Tod und König Stephens Steuererhöhungen. Eine Nachricht wie die ihre, eine so geheime und dringliche Botschaft, die ohne das Siegel des Absenders überbracht wurde, konnte als echt, aber auch als List gewertet werden. John von Cantebrigge konnte durchaus glauben, man wolle ihm eine Falle stellen.
    Gwyn hatte einen Moment lang erwogen, dem Boten das Einzige mitzugeben, das sie besaß und das die Nachricht als eindeutig von ihr stammend identifizierte. Aber sie hatte sich dagegen entschieden.
    Everoot besaß wie nur wenige andere Domänen, zum Beispiel Durham und ehester, das Münzrecht. Im Nest waren einst große Mengen Münzen geprägt worden, aber in den gesetzlosen Tagen, in denen geraubt und geplündert wurde, gab es nur wenig Arbeit für die Münzer. Man konnte einfach kaum mehr Gewinn machen. Das Privileg war inzwischen zunehmend zur Last geworden.
    Auch wenn sie nicht länger Münzen für die Krone prägten, zeigten die Münzstempel doch nach wie vor eines der beeindruckendsten, prägendsten Bilder des Landes: eine knospende Rose. Die Linien waren wie ein Sonnenaufgang umstrahlt, dennoch klar und präzise. Während andere sich für Eber und Adler und Bären entschieden hatten, war die Wahl ihres Vaters auf ein Motiv gefallen, das seiner Frau gefallen hatte: die Rose von Everoot, die zweimal im Jahr blühte.
    Die Rose war charakteristisch. Sie war selten. Sie würde von jedem erkannt werden, und sie zierte auch den mit Eisen beschlagenen, geschwungenen Deckel von Papas Holzschatulle.
    Gwyns Fuß stieß gegen die Filztasche. Sie beugte sich nach unten und berührte sie, als wäre sie ein Talisman. Dann richtete sie sich wieder auf.
    Was hätte es ihr genutzt, wenn sie die Schatulle mitgeschickt hätte? Die Nachricht würden sie so oder so glauben, denn sie war überzeugt, dass ihr Freund John von Cantebrigge nicht auf ein Zeichen oder Siegel wartete, ehe er ihr zu Hilfe eilte.
    Und sie durfte die Schatulle nicht einen Augenblick lang aus der Hand geben.
    Sie nahm die Tasche und zog die Schatulle hervor. Es war eine hübsche Arbeit. Eine seltsame Anziehungskraft ging davon aus. Man wünschte sich geradezu, sie berühren zu dürfen. Aber über die einfache, fast überirdische Schönheit hinaus war die Schatulle wertvoll, weil ihr Vater sie in den letzten Stunden seines Lebens in ihre Obhut gegeben hatte. Ein kleines Kästchen, in dem die Liebesbriefe verwahrt waren, die er und Gwyns Mutter sich geschrieben hatten, als er auf dem Kreuzzug in Outremer weilte. Allein das war schon recht merkwürdig.
    Andererseits hat er Mama sehr geliebt, befand sie zum bestimmt hundertsten Mal.
    Und Gwyn hatte für ihren Tod gesorgt. Gerade so, als hätte sie ihr eigenhändig das Schwert ins Herz gestoßen.
    Ihr Herz machte einen Satz. Sie hatte die vergangenen zehn jähre ihres Lebens mit dem Versuch verbracht, ihrem Vater alles recht zu machen und ihm zu helfen. Sicher zog es Konsequenzen nach sich, wenn man den eigenen Bruder und die eigene Mutter tötete. Zum Beispiel die, dass der Vater sie hasste.
    Sie fuhr mit der Hand über die Schatulle und hob den Deckel. Die Briefe ihrer Eltern lagen darin. Verträumt berührte Gwyn die Pergamentbögen, dann fuhr ihre Hand tiefer und betastete suchend den Boden der Schatulle.
    O mein Gott. Ihr wurde eiskalt.
    Er war verschwunden.
    Ihr Herzschlag setzte aus. Zusammen mit der Schatulle hatte Papa ihr zwei kleine Schlüssel anvertraut: einen goldenen und einen aus Silber. Er hatte mit Nachdruck darauf bestanden, dass sie die beiden Schlüssel verwahrte. Das hatte sie verwundert, zumal keiner der beiden ein Türschloss in der Burg zu öffnen vermochte. Aber sie hatte es ihrem Vater an seinem Totenbett versprochen.
    Und jetzt war der silberne Schlüssel fort.
    Mit zitternden Fingern räumte sie die Pergamentrollen aus der Schatulle und schaute noch einmal nach. Kein Schlüssel. Gwyn lehnte sich zurück. Ihr Blut rauschte, ihre Gedanken rasten. Ja, so musste es passiert sein. Als ihr in London die Schatulle aus den Händen geglitten war, musste der Schlüssel

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