Die Verfuehrung Des Ritters
herausgefallen sein.
Aber weshalb fühlte sie sich so schrecklich? Es waren doch nur Erinnerungen an die Vergangenheit, die keinen Wert hatten. Aber ihrem Vater hatten diese Dinge etwas bedeutet, und darum fügte der Verlust den bereits erlittenen unheilbaren Schmerzen einen neuen hinzu.
Instinktiv glitt ihre Hand zu ihrem Rock und berührte das längliche Stück Metall, das sie in eine Tasche eingenäht hatte. Wenigstens der goldene Schlüssel war ihr noch geblieben.
Was hatte es schon zu bedeuten, dass sie den silbernen verloren hatte?
Sie sprang auf. Der Stuhl fiel nach hinten, und sie stopfte die Schatulle zurück in den Beutel. Dann kniete sie sich neben die Wanne. Heißer Dampf stieg auf und umschloss ihre kalten, klammen Fingerspitzen. Sie begann sich auszuziehen.
Ihr Blick fiel wieder auf die Filztasche. Papa war ein belesener Mann gewesen . Für einen Mann des Krieges war das ungewöhnlich. Gwyns Mutter hatte das Lesen und Schreiben von ihm gelernt. Seltsam, dass Papa es mir verweigert hat, mich in dieser Fertigkeit zu unterweisen, dachte Gwyn. Der Gedanke rührte etwas in ihr an, das sie nicht benennen konnte. Aber so war es nun einmal, und deshalb blieben die Briefe ungelesen. Sicher hätte sie William Mit-den-fünf-Strähnen, ihren betagten, streitsüchtigen und hoch verehrten Seneschall bitten können, ihr die Briefe vorzulesen. Aber Gwyn hatte das Gefühl, dass diese Briefe nur für ihre Augen bestimmt waren.
Sie hatte sich die Briefe natürlich angeschaut. Mit den Fingerspitzen hatte sie die Tintenschnüre nachgezeichnet, hatte sie die Ecken und Kanten des alten knisternden Pergaments berührt. Aber lesen konnte sie kein einziges Wort. Eines Tages aber, das hatte sie sich fest vorgenommen, würde sie lesen lernen.
Dann konnte sie vielleicht das Geheimnis lüften, das unter den Briefen verborgen lag. In dem Geheimfach mit der Klappe aus Eisen, die nicht einmal mit Feuer geöffnet werden konnte.
14. KAPITEL
Griffyn ging die Treppe hinunter und betrat die Haupthalle des Gebäudes, das weder jetzt ein Gasthaus noch jemals vorher eines gewesen war. Vor etwa neunzig Jahren war es ein Außenposten für die sächsischen Soldaten gewesen, kurz vor der Eroberung durch William den Bastard. Es hatte jedoch seitdem seinen Nutzwert nicht eingebüßt. Auch jetzt hielten sich Männer in diesen Mauern auf, die die Übernahme großer Reiche planten. Männer wie Griffyn und die Hand voll Ritter, die auf den Schlachtfeldern der Normandie für den Kampf gestählt worden waren.
Als Griffyn sein Pferd an den Soldaten übergeben hatte, der ihm bei seiner Ankunft entgegengeeilt war, hatte er außerdem ausrichten lassen, dass die Männer sich innerhalb der nächsten halben Stunde im Festsaal versammeln sollten.
Zwölf Männer und zwei Frauen saßen um zwei große abgenutzte Holztische oder standen an die Wände aus Flechtwerk gelehnt und erwarteten ihn. Die schwieligen Hände schlossen sich um Krüge mit schalem Ale. Eine Kohlenpfanne verströmte in der Mitte des Raumes Wärme, und auf jedem der Tische standen ein paar Kerzen.
Sie klebten in erstarrten Wachspfützen, damit sie nicht umfielen. Zwölf Männer hatten sich im Dämmerlicht der Halle versammelt. Männer, die für ihren Herrn große Risiken und Gefahren auf sich nahmen.
Griffyn berichtete ihnen in wenigen Worten, was sich zugetragen hatte. Zuerst erzählte er von dem Treffen mit Beaumont und der Einigung, die sie erreicht hatten.
Das war eigentlich der wichtigste Punkt, aber schon bald merkte er, dass dieses Thema
im Vergleich zum anderen verblasste. Viel interessanter war die Geschichte von der Beinahe-Entführung, von dem Schwertkampf und der darauffolgenden doppelten Rettung.
Er erntete einige skeptische Blicke, mehr als nur ein paar Lacher und zu viele Flüche, um sie zählen zu können, als er berichtete, wie er gegen d'Endshires Männer gekämpft hatte.
»Sie sind also tot?«, fragte einer der normannischen Ritter namens Dameiran.
Griffyn hob den Blick vom Feuer. »Nicht alle. De Louth konnte fliehen.«
»Das ist ja wenigstens etwas«, scherzte der Ritter und hob seinen Krug, um noch einen Schluck Ale zu nehmen.
Griffyn warf ihm einen finsteren Blick zu. »Wie schön, dass ich dir zu Diensten sein konnte.« Er beobachtete, wie die Männer im Raum, die im Schatten saßen, grinsten.
Seine Miene verfinsterte sich. »Was hättet ihr denn an meiner Stelle gemacht? Sie war allein und schwebte in Gefahr.«
Das laute johlen und Lachen, das dieser
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