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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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dieser Welt sind. Tote womöglich. Oder rachsüchtige Gespenster.«
    Â»Wie auch immer«, unterband Kinjo Utanti die Diskusssion mit einem Lächeln, »wir haben es hier mit einem Schöpfungsmythos zu tun, der erzählt, dass womöglich alles menschenähnliche Leben, das wir kennen, von hier, aus dem Regenwald gekommen ist, vor undenkbaren Zeiten, als Mensch und Ameise noch im Einklang miteinander standen. Das ist nicht vollkommen unmöglich. Von irgendwo müssen die ersten Menschen ja hergekommen sein. Warum nicht von hier, aus dem damals sicherlich noch überbordend fruchtbaren Süden?« Er deutete zur Decke. »Ich kann die Schriftzeichen einigermaßen gut entziffern, sie ähneln einer Schrift, die auch in unserem Wald noch in Ruinen zu finden ist. Die Übersetzung ist jedoch aufgrund der unterschiedlichen Dialekte nicht ganz eindeutig. Ich würde sagen, hier steht:
    Tag und Nacht wirken zusammen
    Himmel und Erde sind eins
    Königin Umsilika sieht (oder zieht) in alle Richtungen
    und Reichtum (oder der Schatz) ist überall (oder in allen diesen Richtungen)

    Es könnte auch heißen: die Königinnen Umsilika. Oder die Königinnen Um, Si, Li und Ka, aber das sind keine sechs, und ich denke, es müssten sechs sein oder eine.«
    Rodraeg musste daran denken, wie sehr die Riesen sogar in ihren Planungen gegen die Tsekoh immer auf der Zahl Sieben bestanden. Wahrscheinlich hatte einfach jedes Volk seine magische Lieblingszahl. Bei den Menschen war es die Zehn wegen der zehn Götter und – daraus abgeleitet – der zehn Wochentage.
    Â»Das passt jedenfalls zur Schöpfungstheorie«, stellte Onouk fest. »Die Königin zieht in alle Richtungen, weil überall Reichtum liegt. So entstehen die Völker aus einem einzigen heraus. Alle sind miteinander verwandt.«
    Â»Nur die Tsekoh nicht«, sagte Rodraeg so leise, dass niemand es hören konnte.
    Sie gingen weiter. Kurz bevor sie diese Kammer verließen, wandte Timbare sich zu Rodraeg um und flüsterte: »Weißt du, wo ich genau solche Schriftzeichen noch gefunden habe?«
    Â»Wo?«
    Â»In Warchaim, als ich die Gründungssitzung des Mammuts besuchte. Dort, wo wir alle uns getroffen haben: in den Ruinen des Alten Tempels.«
    Â»Du nimmst mich auf den Arm!«
    Â»Nein. Ehrlich.«
    Â»Und – was sagten diese Schriftzeichen?«
    Â»Das weiß ich leider nicht. Ich kann diese Schrift nicht übersetzen. Außer Kinjo können das nur noch wenige. Aber es waren mit Sicherheit dieselben Zeichen, ich erkenne einige genau wieder. Vielleicht sollte ich euch Kinjo einmal ausleihen nach Warchaim, dann kommt ihr vielleicht einem großen Geheimnis auf die Spur.«
    Â»Ja. Eine gute Idee. Nur leider können wir uns in Warchaim nicht mehr blicken lassen, ohne hingerichtet zu werden. Ohne uns hätte Kinjo es dort leichter.«
    Â»Verstehe. Na, mal sehen. Vielleicht reise ich selbst mit ihm dorthin.«
    Â»Solange es noch steht.«
    Â»Solange es noch steht?«
    Â»Ach, vergiss es! Nur ein dummer Spruch.« Wenn diese Dschungelsache hier erledigt war, vielleicht. Dann konnte Rodraeg immer noch sämtliche Pferde des Kontinents scheu machen mit den dunklen Prophezeiungen der Riesen und der Königin. Aber wer würde ihm glauben? Ijugis schon gar nicht, wenn er erfuhr, dass das Mammut mit einem Sonderermittler der Königin, Akamas, auf gutem Fuße stand.
    Im weiteren Verlauf des Ganges – einer Röhre mit festen Lehmwänden – wurde der Brandölgeruch übermächtig. Die entzündliche Flüssigkeit schien hier aus den Wänden zu schwitzen und sich in Klumpen abzulagern, die aussahen wie geschmolzen. Als Rodraeg in die Gesichter seiner Begleiter blickte, glänzten sie alle ölig und schattenflackernd. Hier unten sahen sie alle wie schwarzhäutige Eingeborene aus. Rodraeg spürte, wie ihm die Atemluft knapp wurde. Er musste sich an einer Wand abstützen und bereute es gleich darauf. Das ölige Zeug war kaum abzubekommen.
    Erneut tauchte Timbares Gesicht vor ihm auf: »Alles in Ordnung?«
    Â»Geht schon«, sagte Rodraeg mühsam. »Ich habe mich Anfang des Jahres in einer Höhle vergiftet. Irgendwie ist das nichts für mich.«
    Â»Willst du zurück?«
    Â»Noch nicht.« Rodraeg rief sich erneut in Erinnerung, dass der vergiftete Körper nicht derselbe gewesen war, in dem er jetzt herumlief. Die Höhle des

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