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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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hatten.
    Wider besseres Wissen begann Cara zu sprechen. »Das sind nicht meine Sachen.«
    Die Nonne schaute sie verächtlich an. »Hier ist kein Platz für Eitelkeit. In Gottes Augen sind wir alle gleich, darum wirst du dich genauso anziehen wie die anderen Mädchen.«
    Mit einem eisigen Blick warnte die Nonne Cara, ihr zu widersprechen. Die war klug genug zu schweigen. Stattdessen senkte sie den Blick und drehte sich weg, um sich anzuziehen. Das Kleid war unförmig, und der Wollstoff kratzte; sie musste die riesige Unterhose enger knoten, damit sie ihr nicht von der dürren Taille rutschte. Aber sie wusste genau, dass sie sich nicht beschweren durfte.
    Bis Cara sich angezogen hatte, war es kurz vor halb sechs und draußen bereits dunkel, denn im Winter waren die Tage so weit im Norden kurz. Tagsüber ließen die schmalen Fenster etwas natürliches Licht ein, abends jedoch erhellten die wenigen, in weitem Abstand montierten Öllampen den Bau nur notdürftig.
    »Es ist bald Essenzeit«, erklärte ihr Schwester Jude, während sie durch die Gänge wanderten. »Niamh!«, rief sie plötzlich.
    Ein kleines, schmales Mädchen drehte sich um. Mit angstgeweiteten Augen kam es auf die Nonne zu. Cara war fast erleichtert, als sie feststellte, dass sie nicht die Einzige war, die sich vor den Schwestern fürchtete.
    Schwester Jude stieß Cara vor sie hin. »Das ist die Neue. Du bist für sie verantwortlich.«
    Das als Niamh angesprochene Mädchen, das etwa in Caras Alter sein musste, nickte gehorsam. »Ja, Schwester.«
    Zum vierten Mal an diesem Tag wurde Caras Schicksal in andere Hände gelegt. Das andere Mädchen wartete, bis Schwester Jude außer Sichtweite war, und flüsterte dann: »Wie heißt du?«
    »Cara.«
    »Also, ich bin Niamh, und ich bin seit fünf Jahren hier. Mach mir einfach alles nach, dann müsstest du hier durchkommen.«
    Das Letzte klang unheilverheißend, aber bevor Cara fragen konnte, wie Niamh das gemeint hatte, bogen sie um eine Ecke, hinter der die anderen Mädchen schweigend in einer langen Schlange anstanden. Cara vermutete ganz richtig, dass sie darauf warteten, in den Speisesaal eingelassen zu werden. Um Punkt sechs Uhr gingen die Türen auf, und die Mädchen traten der Reihe nach ein.
    Der Speisesaal war eine weite Halle mit langen Tafeln und Holzbänken zu beiden Seiten. Die Mädchen füllten die Reihen nacheinander auf. Niemand drängte sich vor, und zu hören war höchstens ein leises Murmeln, während alle an ihren Platz gingen.
    Als alle Waisen hinter ihren jeweiligen Bänken standen, kamen die Nonnen herein und setzten sich an einen Tisch vorn im Saal, und dann begann eines der Mädchen das Abendgebet vorzulesen. Erst nachdem all das erledigt war, durften sie sich zum Essen setzen. Die Nonnen wurden zuerst bedient, und Cara beobachtete, wie die Mädchen mit Tellern voller Essen aus der Küche kamen.
    »Der Küchendienst ist das Allerschlimmste«, flüsterte Niamh. Cara nickte weise, dabei hatte sie keine Ahnung, was das andere Mädchen meinte. Sie vermutete, dass sie das schon bald herausfinden würde.
    Der ganze Vorgang hatte eine Ewigkeit gedauert, und Cara war am Verhungern, schließlich hatte sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Als endlich ein Teller vor ihr abgeladen wurde, war sie überzeugt, einfach alles essen zu können. Dann senkte sie den Blick. Sie hatte keine Ahnung, was das sein sollte – vermutlich eine Art Eintopf. Die anderen Mädchen hatten schon zu ihrem Besteck gegriffen und schaufelten die Masse hungrig in sich hinein. Mit ihrer Gabel stocherte Cara in dem braunen Matsch herum, bis sie auf ein Stück stieß, das wie Fleisch aussah. Zaghaft steckte sie es in ihren Mund. Es war halb roh und lauwarm, was sie noch ertragen hätte, aber außerdem war es zäh und knorpelig. Sie merkte, wie ihr die Magensäure in den Mund stieg. Irgendwie schaffte sie es, das Stück hinunterzuschlucken. Prompt wurde ihr so schlecht, dass sie den Teller wegschob.
    Niamh bemerkte das. »Was ist los?«
    Cara hatte sich in den letzten Monaten daran gewöhnt, für sich selbst zu sorgen, und sich dabei hauptsächlich von schlichten Speisen wie Brot und Käse ernährt, und Mrs O’Donnell hatte ihr wahre Köstlichkeiten vorgesetzt. Eigentlich war sie beim Essen nicht heikel, etwas so Unappetitliches brachte sie aber nicht hinunter.
    »Ich kann das nicht essen«, flüsterte sie. »Das ist eklig.«
    Ein grobknochiges Mädchen mit scharfer Zunge, das von den anderen Molly genannt wurde, hob den

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