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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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kreischte oder lachte dabei. Unter dem strengen Blick zweier Nonnen, die in ihrem schwarzen, von Kopf bis Fuß reichenden Habit an wachsame Krähen erinnerten, hatten die Kinder offensichtlich Angst, fröhlich oder ausgelassen zu spielen.
    Nur ein, zwei Mädchen blickten verstohlen in Caras Richtung, als sie aus dem Wagen stieg und der Sozialarbeiterin ins Gebäude folgte. Sie betrachteten sie mit leidenschaftsloser Gleichgültigkeit. Neugier war hier offenbar nicht erwünscht, und eindeutig war ein Neuzugang nichts, worüber man sich freute.
    Drinnen folgte Cara Miss Lynch durch lange, dunkle Korridore, an anderen Kindern und Nonnen vorbei, bis sie zuletzt vor einer Holztür stehen blieben.
    »Du bleibst hier draußen, während ich mit Schwester Concepta spreche«, befahl die Frau.
    Miss Lynch verschwand. Durch die geschlossene Tür konnte Cara Stimmen hören; auch wenn sie nichts verstand, wusste sie, dass über sie gesprochen wurde. Sie musste lange warten, und als Cara sah, wie eine Nonne mit einem Tablett voller Tee und Kuchen in dem Zimmer verschwand, wusste sie, dass das Warten nicht so schnell enden würde. Ihre Beine waren bald so müde, dass sie sich für ihr Leben gern hingesetzt hätte, doch das traute sie sich nicht.
    Bestimmt war fast eine Stunde vergangen, als die Tür endlich wieder aufging und Miss Lynch erschien, Krümel von ihrem Rock klopfend.
    Sie warf Cara einen kurzen Blick zu. »Du kannst jetzt reingehen.«
    Cara sah auf die geschlossene Tür und bekam Angst. Sie fand Miss Lynch zwar nicht nett, aber sie hatte noch nie mit einer Nonne geredet und wollte nicht ganz allein durch diese Tür gehen.
    »Bleiben Sie nicht hier?«
    Die Sozialarbeiterin seufzte, als würde Cara ihr nichts als Schwierigkeiten machen. »Ich muss weiter.«
    Dann eilte Miss Lynch davon und ließ Cara allein zurück. Die schluckte schwer und trat schließlich ein.
    Schwester Concepta arbeitete seit zwanzig Jahren im Waisenhaus, und das bedeutete, dass sie nach allgemeiner Auffassung die ranghöchste Nonne nach der Äbtissin war. Ihr stand es zu, die Neuankömmlinge zu empfangen, und sie genoss diese Aufgabe: Auf diese Weise hatte sie Gelegenheit, die Kinder einzuschätzen – und sie war überzeugt, dass sie eine Querulantin auf den ersten Blick erkannte. Als sie jetzt auf das junge, armselige Mädchen vor ihrem Schreibtisch sah, empfand sie kein Mitleid, sondern puren Ekel. Man wusste nichts über die Abstammung dieses Kindes, doch die Nonne mutmaßte, dass die Eltern Landfahrer oder Zigeuner waren. Mit diesem rabenschwarzen Schopf konnte es nur aus einer primitiven, verderbten Sippe stammen.
    »Wie heißt du mit Nachnamen, Kind?« Keine Antwort. Die Nonne fixierte das Mädchen über die Lesebrille. »Und? Ich habe dich etwas gefragt.«
    Die Neue antwortete immer noch nicht. Offenbar war sie geistig zurückgeblieben, überlegte die Nonne; das, oder sie war einfach verstockt. Miss Lynch, die Sozialarbeiterin, hatte erzählt, dass sie Schwierigkeiten gemacht hätte, als sie vorhin abgeholt wurde. So oder so hatte Schwester Concepta für so etwas keine Zeit.
    Sie schniefte abfällig. »Du kannst dich noch so dumm stellen, wir haben uns verpflichtet, für dich zu sorgen, bis du sechzehn bist. Drei Jahre ohne ein Wort sind eine lange Zeit. Ich nehme an, du wirst schon bald deine Stimme wiederfinden.«
    Sie läutete eine Glocke, und eine zweite Nonne erschien. Sie war jünger, aber genauso unfreundlich.
    »Das ist Schwester Jude. Sie betreut deinen Jahrgang.« Dann wandte sich Schwester Concepta an die jüngere Nonne. »Du wirst sie einweisen.«
    Umgehend wurde Cara in einen gekachelten Raum gebracht, wo sie sich ausziehen musste. Die Nonne drehte einen rostigen Hahn auf, und die Rohre begannen metallisch zu klopfen, sobald das Wasser zu fließen anfing. Cara schnappte nach Luft, als die eisigen Wassernadeln sie trafen. Sie versuchte aus dem Strahl zu springen, aber Schwester Jude stieß sie mit einem Besenstiel zurück.
    »Du bleibst da drunter, bis du sauber bist.«
    Als Cara endlich aus der Dusche durfte, waren ihre Finger und Zehen blau angelaufen. Nachdem sie sich mit einem winzigen, fadenscheinigen Handtuch abgetrocknet hatte, stand sie nackt und bibbernd in der Kälte, bis sie einen Stapel Kleider in die Hand gedrückt bekam. Sie sah auf den Haufen. Das waren nicht die hübschen Sachen, die Mrs O’Donnell ihr gegeben hatte. Stattdessen war es ein schlichtes dunkelgraues Kleid, so wie es die anderen Mädchen getragen

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