Die vergessene Frau
eine gute Rechtfertigung dafür, dass sie nicht wiederkam.
»Sie entwickelt sich nicht unter Ihrem Regiment«, erklärte Max der Rektorin und ließ sie damit deutlich spüren, wessen Schuld das seiner Meinung nach war. »Darum haben wir beschlossen, dass sie vorerst Privatunterricht bekommen wird.«
Wenn das Baby erst da war, konnten sie Olivia jederzeit auf einer anderen Schule anmelden.
Die Außenwelt ließ sich leicht täuschen. Niemand hatte einen Grund zu der Vermutung, dass das Baby nicht ihres wäre, und Franny sorgte dafür, dass niemand Verdacht schöpfte. Erst verkündete sie aller Welt, dass sie schwanger sei. Sie erklärte, sie sei im fünften Monat, was recht spät für eine Bekanntgabe war, aber das konnte sie mit der Behauptung rechtfertigen, Max und sie hätten die frohe Botschaft für sich behalten wollten, bis sie ganz sicher gewesen seien.
Zum Glück war Gabriel den ganzen Sommer über auf Reisen und würde im Herbst in Stanford sein Studium aufnehmen, sodass sie sich keine Gedanken zu machen brauchten, ob sie ihn einweihen sollten. Die Angestellten zu täuschen war nicht so einfach. Max bestand darauf, Hilda ins Vertrauen zu ziehen.
»Ich weiß, dass du nicht mit ihr auskommst, aber sie arbeitet schon seit zwanzig Jahren hier und hat mich noch nie enttäuscht.«
Trotz ihrer Bedenken sah Franny ein, dass sein Vorschlag vernünftig war. Hilda konnte die anderen Angestellten von Olivia und ihr fernhalten. Und sie hatte, bevor sie für Max zu arbeiten begonnen hatte, eine Ausbildung als Krankenschwester absolviert. Auf diese Weise konnte sie Olivia während der Schwangerschaft im Auge behalten und später bei der Entbindung helfen, sodass sie Dr. Robertson nicht in die Sache hineinziehen mussten. Da Max wusste, dass sein Freund irgendwann von Frannys Schwangerschaft erfahren würde, erzählte er ihm, seine Frau hätte sich für eine andere Praxis entschieden, weil sie sich in dieser Angelegenheit bei einer Ärztin besser aufgehoben fühlte. Der Arzt hatte die Lüge nicht angezweifelt.
Am schwersten fiel ihr das Gespräch mit Lily im Brown Derby. Franny hatte sich vor dem Essen gefürchtet, da sie wusste, dass sie ihre Freundin dabei anlügen musste. Von der ersten Minute an fühlte sie sich schrecklich unwohl, und sie wusste genau, dass ihre Nervosität Lily misstrauisch machen musste. Doch es war ein unverzichtbarer Teil ihres Planes.
Franny versuchte Olivia in die Vorbereitungen für die Geburt einzubinden, aber ihre Stieftochter zeigte kein Interesse. Als sie Olivia bat, eine Wandfarbe für das Kinderzimmer auszusuchen, zuckte das Mädchen wortlos mit den Achseln; als Franny ein Vornamenbuch zückte, reagierte Olivia nur gelangweilt.
»Such du einen aus.«
Franny hatte das Gefühl, dass der unbekannte Vater ihres Kindes Olivia das Herz gebrochen hatte. Wer er war, wollte sie immer noch nicht verraten. Max fragte dennoch.
»Das werde ich dir nicht sagen«, beharrte sie, den Mund zu einem dünnen Strich zusammengekniffen. »Du kannst mir drohen, solange du willst, ich werde es dir nicht sagen.«
Schließlich lenkte Max ein, vor allem weil er seine schwangere Tochter nicht weiter aufregen wollte.
Natürlich wurde ihr Versteckspiel immer komplizierter, je weiter die Wochen voranschritten. Zum Glück wollte Olivia ihr Zimmer sowieso kaum noch verlassen, und wenn sie es doch tat, verbarg sie ihre Schwangerschaft durch betont weite Kleidung vor den Angestellten. Max hatte Zugang zur Studiogarderobe und besorgte mehrere falsche Bäuche für Franny, aber ab Anfang Oktober, als sie angeblich im achten Monat war, hielten sie es beide für zu riskant, sich mit Außenstehenden zu treffen. Darum ließ sie verkünden, dass sie an Bluthochdruck leide und der Arzt ihr strenge Bettruhe verordnet habe.
Die meisten aus ihrem Freundeskreis gaben sich mit dieser Erklärung zufrieden. Schließlich waren sie ein Haufen von Drückebergern, denen jede Ausrede recht war, um nicht nach Stanhope Castle fahren zu müssen, es sei denn zu einer großen Feier. Die Vorstellung, in einem abgedunkelten Zimmer sitzen zu müssen, und sei es nur eine Stunde, schreckte fast alle ab. Nur Lily – die stets treue Lily – bestand darauf, Franny zu besuchen.
»Ich komme, wann immer es dir passt, Süße«, bot sie ihr an. »Und ich bringe ein paar Spiele mit, mit denen wir die Zeit totschlagen können.«
Franny musste ihr gesamtes schauspielerisches Talent aufbieten, um ihre Freundin abzuwimmeln. »Ach, Liebes! Das ist
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