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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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klatschte, trat der Bandleader ans Mikrofon.
    »Vielen Dank für Ihren freundlichen Applaus«, begann er mit gerötetem und verschwitztem Gesicht, weil die Scheinwerfer so viel Hitze abstrahlten. Die Musiker gaben jeden Abend ihr Bestes, ihnen war anzuhören, dass sie ihre Arbeit liebten. »Und nun habe ich die große Ehre, Ihnen den Liebling der Nation zu präsentieren …« Er wartete den Trommelwirbel ab und verkündete dann: »… Miss Vera Lynn!«
    Das Publikum hatte schon zu klatschen begonnen, bevor er den Namen ausgesprochen hatte, und als Vera Lynn auf die Bühne geschwebt kam, waren die ersten Bravorufe zu hören. Franny war wie gefesselt: In dem bodenlangen Kleid aus rosa Satin und mit dem zu einer eleganten Rolle frisierten blonden Haar sah Vera Lynn so selbstbewusst und reich aus, wie es die junge irische Frau auch gern gewesen wäre.
    Die Sängerin wartete geduldig ab, bis sich der Lärm gelegt hatte. Ihre Stimme klang weich und einschmeichelnd: »Vielen, vielen Dank für diesen warmherzigen Empfang.« Und dann setzten die ersten Klavierakkorde ein, und sie begann We’ll Meet Again zu singen.
    Manchmal war während der Auftritte gedämpftes Murmeln zu hören. Aber Vera Lynn hatte das gesamte Publikum verzaubert. Vereinzelt wagten sich Paare auf die Tanzfläche, doch die meisten schienen völlig damit zufrieden zu sein, ihr zuzuhören. Während die großartige Lady eine Nummer nach der anderen vortrug, vergaß Franny jedes Zeitgefühl. Erst als Hazel sie von einem der Kellner holen ließ, begriff sie, wie lange sie ihren Arbeitsplatz verlassen hatte – sie hatte fast den ganzen Auftritt verfolgt. Und während Franny zur Garderobe zurückeilte, schwor sie sich, dass sie eines Tages selbst auf dieser Bühne stehen würde, so berühmt und bewundert wie Vera Lynn.
    Während der nächsten Monate schlich Franny sich in jeder freien Minute in den Saal, um die Auftritte der Künstler zu verfolgen. In den meisten Wochen wurden große Namen angekündigt, und sie bekam sie alle zu sehen, von Ella Fitzgerald bis zu Sammy Davis junior, von Frank Sinatra bis zu Lena Horne. Neben den Sängern gab es noch andere große Künstler: Burlesque-Tänzerinnen und Showgirls mit Beinen bis zum Himmel; Zauberkünstler und Artisten am Trapez – der Club war ein einziges Wunderland aus Farben und Klängen. Franny sah sie alle an, studierte jede einzelne Aufführung und begann sich in ihrer Fantasie einen eigenen Auftritt zusammenzustellen.
    Zweimal jährlich gab es im Club ein Vorsingen. Das nächste sollte im März stattfinden, und Franny schwor sich, dass sie daran teilnehmen würde. Sie beobachtete die Künstler im Club noch genauer, versuchte sich ihre Big-Band-Stücke und Jazz-Nummern einzuprägen und übte sie bei jeder Gelegenheit ein: zu Hause mit Cara oder beim Putzen. Ehe sie sichs versah, war der Termin fürs Vorsingen gekommen.
    Am ersten Montag im März 1949 saß Franny nervös auf ihrem Stuhl und wartete auf ihren Auftritt. Sie war um eins gekommen, sobald sie von ihrer Putzstelle weggekonnt hatte. Annie war so nett gewesen und hatte ihr angeboten, nachmittags für sie einzuspringen, damit sie hier erscheinen konnte. Jetzt fragte sie sich, ob sie nicht einen riesigen Fehler begangen hatte. Es wollten mehr Menschen vorsingen, als sie je für möglich gehalten hätte. Bei jedem dieser hochbegabten Künstler sank ihr das Herz tiefer in die Hose. Sie wusste beim besten Willen nicht, wie sie hier herausstechen sollte.
    Bis Franny auf die Bühne trat, hatte sie völlig der Mut verlassen. Zitternd stellte sie sich vor das Mikrofon; sie hatte sich das hier so sehr gewünscht, und sie fürchtete sich so sehr davor zu versagen, dass sie die Angst völlig lähmte. Nach langem Hin und Her hatte sie beschlossen, Copacabana zu singen, so wie Carmen Miranda in dem gleichnamigen Film. Es war ein fröhliches Stück, bei dem die leichten Unsicherheiten in ihrer unausgebildeten Stimme weniger zum Tragen kamen und zu dem sie sich obendrein bewegen konnte. Aber jetzt, wo sie auf der Bühne stand und all die unbekannten Gesichter erwartungsvoll zu ihr aufsahen, war der Text wie weggeblasen. Als die Band einsetzte, war sie so damit beschäftigt, sich im Rhythmus der Rumba zu wiegen, dass sie prompt ihren Einsatz verpasste. Sie versuchte in der zweiten Zeile einzusteigen, durch ihren Fehlstart war sie jedoch so aus dem Konzept geraten, dass sie die Hände heben musste, und die Musiker verstummten.
    »Es tut mir so schrecklich leid«,

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