Die vergessene Frau
alle fünf Minuten auf ihm herumhackst.«
Zornentbrannt starrte Emery seine Hauptdarstellerin an. »Verzeihung?«, polterte er.
Lily ließ sich von seiner drohenden Haltung nicht einschüchtern. »Du hast mich schon verstanden. Wie wär’s, wenn du uns jetzt in die Mittagspause gehen lässt, dann können wir in Ruhe essen, und ich wette, danach läuft es wie geschmiert.«
Ohne seine Antwort abzuwarten, hakte sich Lily bei Franny ein und führte sie aus der Kulisse in ihre Garderobe. Franny hoffte, dass ihr die andere Schauspielerin ein paar Tipps geben würde, wie sie die Dreharbeiten besser überstehen konnte. Aber jedes Mal, wenn sie das Thema anzuschneiden versuchte, weigerte sich Lily, mit ihr darüber zu sprechen oder sie auch nur einen Blick ins Drehbuch werfen zu lassen.
»Das heißt nicht umsonst Pause, Schätzchen. Die ist zum Essen und Entspannen gedacht. Kein Wort über die Arbeit – und das ist ein Befehl!«
Franny konnte damals noch nicht wissen, dass Lily zu den wenigen Stars in Hollywood gehörte, die sich treu geblieben waren. Während viele berühmte Schauspielerinnen die jungen Starlets als Konkurrentinnen fürchteten, half Lily ihnen. Sie aß mit Franny Mittag und plauderte absichtlich ständig mit ihr, sodass der Rotschopf gar keine Zeit hatte, an Emerys Drohung zu denken. Als Franny eine Stunde später an den Set zurückkehrte, war ihr Kopf wie durch ein Wunder wieder klar, und die Szene konnte in einer Klappe abgedreht werden.
Nach Drehschluss ging Franny abends noch einmal zu Lilys Garderobe, um sich für ihre Hilfe zu bedanken.
»Ach, das war doch nicht der Rede wert«, meinte Lily nonchalant, während sie Feuchtigkeitscreme in ihre Wangen massierte. »Das haben wir alle durchmachen müssen, Herzchen. Reden wir über etwas Wichtigeres. Was haben Sie heute Abend vor?«
»Nichts«, antwortete Franny ehrlich. Meistens verbrachte sie die Abende im Motel und schrieb an Cara. Abgesehen von den obligatorischen Fototerminen am Abend, die sie regelmäßig absolvierte, blieb sie abends allein.
Lily schnalzte mit der Zunge. »Falsche Antwort, Herzchen. Sie kommen mit mir.«
Inzwischen hatte sie sich erfolgreich abgeschminkt und trat jetzt an eine Kleiderstange mit zwei Dutzend verschiedenen Kleidern. Franny folgte ihr.
»Wohin denn?«, fragte sie.
»Ins Ciro’s.«
»Den Nachtclub?« Franny bemühte sich vergeblich, sich die Aufregung nicht anhören zu lassen. Dort fand sich die Crème de la Crème von Hollywood ein, um zu feiern.
Lily hörte auf, in ihren Kleidern zu wühlen, und sah sie mit großen Augen an. »Sie waren noch nie dort?«
»Nein.«
»Ach, Schätzchen!« Lily wirkte aufrichtig schockiert. »Wenn Sie noch nie im Ciro’s waren, dann haben Sie noch nicht gelebt.« Ihre kornblumenblauen Augen funkelten. »Glauben Sie mir, Herzchen, den heutigen Abend werden Sie nicht vergessen. Aber erst müssen wir etwas Aufsehenerregendes finden, das Sie anziehen können.«
Kapitel 14
Es war Donnerstagmorgen, und Theresa stand gerade im Kaufladen, wo Mr Quinn, der Ladenbesitzer, das Mehl und ein Stück Speck für sie abwog, als Mrs Murray mit ihrer kleinen Nichte in den Laden trat. Die Murrays waren Theresas nächste Nachbarn, ihre Kate lag nur eine halbe Meile von Theresas entfernt. Theresa kannte sie gut genug, um sie zu grüßen und im Vorbeigehen ein paar Worte mit ihnen zu wechseln. Darüber hinaus interessierte sie sich nicht für die beiden. Noreen war in den Dreißigern und hatte nie Kinder bekommen, und sie hatte Theresa ausgiebig erzählt, dass sie sich ein paar Wochen um das Kind ihrer Schwester kümmern würde. Offenbar verhätschelte sie das Kind nach Strich und Faden: Sogar für diesen Abstecher in den Ort hatte sie die Kleine herausgeputzt.
Theresa beobachtete missbilligend, wie die beiden an die Theke mit den Süßigkeiten traten und sich das Kind ein halbes Pfund Pfefferminzdrops bestellte. Während die beiden darauf warteten, dass Mrs Quinn die Bonbons abwog, plapperte das Mädchen fröhlich drauflos und führte offensichtlich ein Gespräch weiter, das die beiden draußen begonnen hatten.
»Ich habe mir das nicht ausgedacht«, beharrte die Kleine. »Ich bin ihm in den Wald nachgelaufen und habe mit ihm geredet.«
»Ach, Alysha, wann hörst du endlich auf, dir solche Geschichten auszudenken?«
»Aber es stimmt. Im Wald war ein Mädchen, und es hat gesagt, dass niemand von ihm wissen darf.«
»Hat es gesagt warum?«
»Nein. Das ist ein Geheimnis, hat es
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