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Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Titel: Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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danach. Immer wieder von vorn anfangen. Nicht aufgeben . . . Bei der anderen ist viel vom Bombenkrieg die Rede, aber wenig von dessen Folgen, weil in der Tat alles gut ausgegangen war.
    Marianne Kraft ist Historikerin. Als ich sie 1997 zum ersten Mal um ein Interview bat, lag ihre Kriegskindheit noch gut verpackt in den Schubladen der Vergangenheit. Obwohl schon Endesechzig, konnte bei ihr von einem beschaulichen Rentnerdasein nicht die Rede sein. Dass sie ein aufwendiges kirchliches Ehrenamt übernommen hatte, war für sie etwas Selbstverständliches. Womöglich entsprach ihre Arbeit den Verpflichtungen einer halben Pfarrstelle, doch wenn Marianne solches Lob hörte, widersprach sie entschieden. Etwas zu leisten, sich für andere einzusetzen, solange ihre Kraft reichte, verdiente in ihren Augen keine besondere Beachtung.
Großmutter und Enkeltochter
    Außerdem hielt sie noch Vorlesungen, ebenfalls für Gotteslohn. Sie und ihr Mann gehören zu den gut versorgten Pensionären; da reichte ihr schon als Gewinn, dass ihr Wissen gefragt war. Eines Tages äußerte ihre damals 17-jährige Enkeltochter den Wunsch, sie in den Hörsaal zu begleiten. Lena war so beeindruckt von ihrer Großmutter, vor allem von der Art, wie sie die Studenten für ihren Stoff zu begeistern vermochte, dass die Schülerin beschloss, später selbst Geschichte zu studieren. Als Marianne Kraft mir erzählte, in welchem Ausmaß unser Interview wieder Erinnerungen an ihre Kriegskindheit wachgerufen habe, ja dass dies seitdem immer wieder Thema sei in ihrer Familie und auch bei Freunden, wobei sich ihre älteste Enkelin ganz besonders dafür interessiere, bat ich um ein weiteres Interview, diesmal zusammen mit der zur Studentin herangereiften Lena.
    Fünfzig Jahre liegen zwischen der alten und der jungen Historikerin. Ein Jugendfoto der Älteren zeigt, dass die junge Marianne und die Enkelin Lena sich wie Schwestern ähneln: breite Wangenknochen, schwarzes dichtes Haar, wache Augen.
    Kein Zweifel, dass Lena ihre Großmutter bewundert: eine Frau mit einer heiseren Stimme, die ausgesprochen gut zu ihr passt, mit einem großen Herzen und einem scharfen Verstand. Damit bewältigt sie ihren Alltag, versorgt sie ihren chronisch kranken Mann, kümmert sie sich um das Haus, das nach wie vor für eineFamilie mit drei Kindern, fünf Enkeln und für einen großen Freundeskreis der Mittelpunkt ist.
    Lena ist ein Scheidungskind; umso wichtiger für sie, bei ihren Großeltern zu sehen, dass zwei Menschen auch nach vierzig Jahren noch eine Liebesehe führen können. Marianne weiß, dass sie allen Grund hat, dankbar zu sein, und Lena weiß: Typisch Großmutter, alles Gute in ihrem Leben sieht sie als Geschenk, die eigene Leistung nimmt sie nicht so wichtig. Alle, die mit Großmutter zu tun haben, sind beeindruckt von ihrer Persönlichkeit. Nur Marianne versteht nicht, warum das so ist, weil sie in ihrer christlichen Haltung die dafür nötigen Vergleiche ablehnt.
Vom Hunger geprägt
    Als Historikerin sieht sie sich nicht nur als ein Kind jener Zeit, die mit ihrem Geburtsjahr begann, sondern sie sieht sich auch schon von früheren Jahren geprägt. »Hunger« heißt ihr großes Lebensthema, weil sie erkannt hat, in welchem Ausmaß ihre eigene Erziehung vom Elend des Ersten Weltkriegs und der Zwanzigerjahre beeinflusst war; dass im Wald Pilze und Beeren gesammelt wurden, dass die Eltern ihr von den Hungermärschen erzählten, mitten in der Großstadt.
    »Leute in Badeanzügen gingen hintereinander her, um zu zeigen, wie ausgemergelt sie waren«, erzählt Marianne. »Das war 1930, das Jahr, in dem ich geboren wurde.« Aber es klingt so, als beschreibe sie eine eigene Erinnerung. »Und zu meinen Eltern, die beide Lehrer waren, Reformpädagogen, kam jeden Mittag ein sogenanntes Kommunistenkind, das einmal am Tag satt zu essen haben sollte. Meine Eltern waren ja keine Kommunisten, aber es war ganz klar, dass man etwas tun musste, um diese Kinder vorm Verhungern zu retten. Also, was Hunger bedeutet, das hat meine ganze Kindheit mitbestimmt.«
    Und noch ein weiterer Faktor war prägend: »Es wurde Teil unseres Wesens und Selbstgefühls, dass alles zum Teufel gehenkann, ganz schnell; dass in ein paar Jahren ein blühendes Land zu einer Wüste wird, das haben die Eltern ja schon erlebt . . .«
    Und sie erlebten es ein zweites Mal. »Ich habe Fotos von meinen Eltern, von 1945, da sieht man, wie verhungert sie waren«, erzählt Marianne. »Meine Mutter war zu schwach, sie kippte

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