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Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Titel: Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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Hanno Buddenbrook waren hier zwei Kinder in der Lage, bedrohliche Einflüsse, die ihnen womöglich den Lebensmut geraubt hätten, von sich fernzuhalten. Viele Jahre später allerdings wurde ihnen ihr Verdrängen zum Hemmnis, was schließlich ihre psychische Gesundheit bedrohte. Eine Heilung war aber möglich, nachdem die seelischen Hintergründe aufgedeckt und verarbeitet werden konnten.

DREIZEHNTES KAPITEL
    Trostlose Familien
Ein Abschiedslied ohne Trauer
    Zum Muttertag 2002 stand in einem Beitrag der »taz« das Heftigste und zugleich Melancholischste, was man sich von einer Beziehung zwischen Mutter und Sohn vorstellen kann. Der Titel hieß »Distanz, lebenslänglich«. Zu Beginn wurde an John Lennons Song »Mother« von 1970 erinnert, ein Abschiedslied ohne Trauer . Mutter, du hattest mich, aber ich hatte dich nie. Ich wollte dich, aber du wolltest mich nie. Deshalb muss ich dir sagen: Goodbye, goodbye.
    »Es singt hier jemand von Verlusten«, schreibt der Autor Dirk Knipphals, »aber zugleich auch jemand, der gewillt ist, nicht zu trauern. Der individuelle Abschied mag schwer sein, aber was will man schon von Müttern, die keine Beziehung zu einem hatten?«
    Lennon war ein Junge aus Liverpool. Was hat er mit heutigen deutschen Familienbeziehungen zu tun? – Offenbar drückt sein Song Gefühle aus, die derzeit bei vierzigjährigen Männern häufiger anzutreffen sind: Söhne, die anfangen zu begreifen, wie wenig Nähe zu jener Frau besteht, die ihnen das Leben geschenkt hat.
    Der »taz«-Redakteur sieht darin nicht etwa Einzelschicksale, sondern eine »momentan typische Konstellation«. Lennons Song sei ihm in den Sinn gekommen, schreibt er, als er die Erzählung »Muttersterben« von Michael Lentz gelesen habe. Mit Lentz, 1964 geboren, fühlt sich Knipphals generationsverwandt und durch ähnliche Familienerfahrungen verbunden.
    Die Erzählung handelt vom Tod der krebskranken Mutter und von ihrem Sohn, der während seines Abschieds noch einmal zusammenfasst, dass er weder im gemeinsamen Leben noch während ihres Sterbens eine innere Verbindung zu ihr gefunden hat. Die Mutter blieb eine Fremde. Lentz bedient sich bei seiner Selbstreflexion einer sperrigen Sprache, die nach eigenwilligenRegeln auf Großschreibung verzichtet: »Und du bist nie mit Mutter ins kino gegangen und nie mit Mutter ins theater gegangen, stellte ich fest. Überhaupt bist du mit ihr immer nirgendwo hingegangen.«
    Kein tiefer gehendes Wissen des Sohnes über die Frau, die seine Mutter war, keine Erinnerung an Gespräche, die zwei Menschen einander näherbrachten. »Es hat schöne gespräche gegeben in unserem leben. Aber wovon handelten die schon. Es sind wichtige dinge, vom wetter und vom essen zu reden. Mutter sprach gern vom wetter und vom essen.« Immer dann, wenn Nähe hätte entstehen können, kam irgendetwas dazwischen, das die vertraute Fremdheit wiederherstellte. Distanz, lebenslänglich.
    »Gefühlstaubheit bis zuletzt«, so nennt es Knipphals. Während die 68er den Kampf und die Auseinandersetzung mit den Eltern gesucht hätten, argumentiert er, sei bei den in den Sechzigerjahren Geborenen der aktuelle Generationenkonflikt ein ganz anderer: Hier gehe es darum, sich endlich der Distanz bewusst zu werden, die schon immer zwischen den beiden Generationsstufen geherrscht habe und die man nur nicht habe wahrhaben wollen.
Eltern und Kinder sind sich fremd geblieben
    Laut »taz« hat man sich zwar von den Eltern gelöst, aber es ist keine neue erwachsene Beziehung entstanden. Offenbar ist es nun die Zeit der Kinder, sich einzugestehen, dass man einander fremd geblieben ist. »Die Eltern dieser Jahrgänge wurden in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre geboren«, heißt es weiter. »Die letzte Müttergeneration, der Selbstaufopferung noch ein nicht hinterfragbares Ideal war, für die eine heile Familie das höchste Gut darstellte, sie ist auf dem Rückzug. Und für ihre von Hedonismus und Ichsuche geprägten Kinder bietet sich vielleicht die letzte Gelegenheit, sich mit ihr auseinanderzusetzen, und sei es Abschied nehmend.«
    In diesem Zusammenhang erinnert Knipphals an Hannelore Kohl, die 2001 Selbstmord beging. Ihr Schicksal löste in Deutschland eine unerwartet große Welle der Anteilnahme und der Erschütterung aus. Sie wäre nicht begreifbar, hätte sie nur das lange Leiden an einer seltenen Allergie im Blick gehabt, das die Kanzlergattin zur Gefangenen ihres eigenen Hauses machte. Ihre Biografin Patricia Clough glaubt, dass der

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