Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen
zurückhaltende Lebensstil für einen großen Teil der gleichaltrigen Müttergeneration, die auf eigene Berufstätigkeit verzichtete, typisch war: »Viele von ihnen hatten, wie Hannelore Kohl, während des Krieges und danach schwere Schicksalsschläge und Härten zu erleiden, die meisten haben stets für andere und durch andere gelebt und ihr Leben den Ehemännern und Kindern gewidmet.«
Michael Lentz stellt in seiner Erzählung lakonisch fest: »Mutter war nicht von dieser Gesellschaft. Ich glaube, sie war aus dem Krieg.«
Ich weiß nicht, was die »taz«-Leser von derart unfreundlichen Muttertagsgedanken gehalten haben. Sahen sie darin eine Zumutung oder eine üble Verallgemeinerung? Empfahlen sie dem Autor in Leserbriefen, er möge seine gestörten Elternbeziehungen zum Therapeuten tragen? Oder geschah es, dass eine größere Gruppe ins Grübeln geriet, weil sie sich in dem Artikel wiedererkannte?
Was ich in der »taz« las, bestätigte meine Eindrücke, die ich in Gesprächen mit den Kindern von Kriegskindern gewonnen hatte. Dabei war mir vor allem eine Frage wichtig: Wie können sich zwei Generationen verstehen, deren Kindheiten sich jeweils auf zwei völlig gegensätzlichen Planeten abgespielt haben?
Dort, wo der Krieg Spuren hinterlassen hatte, konnte ich mir eine entspannte Familienkonstellation nicht so recht vorstellen. Was ich allerdings nicht erwartet hatte, war der kampflose Rückzug der Kinder. Das Achselzucken. Die resignierten Sätze. »Meine Eltern reden so gut wie nie über den Krieg, und auch sonst haben ihre Gespräche keine Tiefe.«
Ich gehe nicht davon aus, dass Aussagen wie »Man kommt anmeine Eltern nicht ran« für die heute 35- bis 45-Jährigen typisch sind. Ich weiß aber, dass sie in dieser Generation gehäuft vorkommen. Ich weiß es auch aus Gesprächen mit Psychotherapeuten. Sie sagen: Es sind überwiegend die Sechzigerjahrgänge, die in die Therapie kommen; gerade bei ihnen ist der Kontakt zu den Eltern auffällig dünn; häufig gibt es so etwas wie eine kulturelle Fremdheit zwischen den Generationen.
Die Kölner Familientherapeutin Irene Wielpütz kennt aus ihrer Praxis beide Gruppen, also die Dreißiger- und die Sechzigerjahrgänge. Die meisten Angehörigen der Kriegskindergeneration, sagt sie, lehnten es ab, sich mit den frühen Schrecken zu beschäftigen. »Es ist ja interessant«, stellt sie fest, »dass sie nicht mit der Absicht kommen: Ich habe eine schreckliche Kindheit gehabt und ich möchte das aufarbeiten. Sondern sie kommen mit Befürchtungen: Ich werde jetzt pensioniert, und ich weiß nicht, ob ich damit zurechtkomme.«
In ihrer therapeutischen Arbeit hat Wielpütz ein typisches Familienmuster festgestellt. »Es gibt eine riesige Diskrepanz zwischen dem Leben der Eltern und dem ihrer Kinder«, sagt sie. »Und ich glaube, dass viele neidisch sind. Wenn sie es zugeben könnten, wäre es unglaublich gut, denn dann könnte man ins Gespräch kommen.« Aber die meisten Älteren zögen sich zurück, wenn sie darauf angesprochen würden; sie machten einfach dicht – zumal es sich, fügt die Therapeutin hinzu, um eine Generation handele, die ohnehin sehr verschlossen sei, wenn es um Gefühle gehe.
Das große Desinteresse
Von den Jüngeren hört Wielpütz eine immer wiederkehrende Klage. »Sie sagen: Meine Eltern verstehen eigentlich gar nicht, was ich mache.« Die Kinder empfinden es häufig so, dass Vater und Mutter sich nicht wirklich für sie interessieren.
»Die wissen bis heute nicht, was ich beruflich mache«, sagteeine promovierte Finanzexpertin, die in einem großen Automobilkonzern Karriere gemacht hatte. »Meine Eltern sagen: Unsere Tochter verkauft Autos.«
Von einem Lehrer hörte ich, es sei ihm unbegreiflich, dass seine Mutter bis heute nicht gespeichert habe, an welchem Schultyp er unterrichte. »Sie hat immerhin mittlere Reife, sie müsste also die Unterschiede kennen«, stellt ihr Sohn kopfschüttelnd fest. »Wäre ich Physiker an einem Institut oder Informatiker, könnte ich ja verstehen, dass ihr meine Berufswelt fremd bleibt. Aber so?!«
Kein Wunder, sagt die Familientherapeutin Wielpütz, dass Kinder gelegentlich auf die Idee kämen, ihre Eltern seien nie erwachsen geworden. »Nicht im Sinne von kindlich«, differenziert sie, »sondern sie erleben ihre Eltern oft als dumm, was diese sicher nicht sind. Die Kinder sehen und fühlen das Eingeschränkte bei ihnen. Und man muss sagen: Die Eltern verhalten sich oft auch so. In solchen Familien ist die
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