Die Vergessene Welt
vollbringen.
Verlaß dich drauf.«
Sie lachte über meine plötzliche Begeisterung. »Warum
nicht?« sagte sie. »Du besitzt alles, was ein Held braucht –
Jugend, Gesundheit, Kondition, Bildung, Energie. Ich war so
enttäuscht, daß du dich aussprechen wolltest, aber jetzt bin ich
froh, unendlich froh, weil dadurch diese Gedanken in dir wach
geworden sind.«
»Und wenn ich dann …«
Ihre liebliche Hand legte sich wie warmer Samt auf meine
Lippen. »Kein weiteres Wort, Sir! Seit einer halben Stunde
solltest du schon in der Redaktion sein. Du scheinst vergessen
zu haben, daß du heute Nachtdienst hast, ich habe es bloß nicht
übers Herz gebracht, dich daran zu erinnern. Eines Tages, wenn
du dir deinen Platz in der Welt geschaffen hast, sprechen wir
vielleicht noch einmal darüber.«
Und so kam es, daß ich an jenem nebligen Novemberabend
mit glühendem Herzen in der Straßenbahn stand und mir
schwor, daß kein weiterer Tag verstreichen würde, ehe ich
nicht eine Tat gefunden hatte, mit der ich Gladys imponieren
konnte. Aber wer – wer in all dieser großen weiten Welt hätte
ahnen können, welche Form diese Tat annehmen und welche
seltsamen Schritte ich unternehmen sollte, um sie zu
vollbringen?
Der Leser wird sich fragen, was dieses erste Kapitel
eigentlich mit meiner Erzählung zu tun hat, aber ohne die
Beschreibung der Geschehnisse an diesem Abend hätte es gar
keine Geschichte gegeben, die man hätte erzählen können. Nur
wenn ein Mann mit dem Gedanken, von Heldentum umgeben
zu sein, in die Welt hinauszieht und den Wunsch im Herzen
trägt, eine Heldentat zu vollbringen, nur dann bricht er aus dem
bisher gekannten Leben aus, wie ich das getan habe, und dringt
in das ergötzliche, mystische Zwielicht eines Landes ein, wo es
große Abenteuer und große Lorbeeren zu ernten gibt.
Und so fordere ich den geehrten Leser auf, mich in die
Redaktion der Gazette zu begleiten, wo ich, eine völlig
unbedeutende
Figur,
noch
in
dieser
Nacht
der
Herausforderung zu begegnen hoffte, die meiner Gladys
würdig war. War es Härte oder Selbstsucht, daß sie mich
aufgefordert hatte, zu ihrer eigenen Verherrlichung mein Leben
zu riskieren? Solch ein Verdacht mag sich in das Denken eines
Mannes mittleren Alters einschleichen, aber nicht in das eines
Dreiundzwanzigjährigen, den das Fieber seiner ersten Liebe zu
verzehren droht.
#2
Versuchen Sie Ihr Glück bei Professor Challenger
§
Ich habe den alten, griesgrämigen, rundbackigen,
rothaarigen McArdle, unseren Nachrichtenredakteur, schon
immer gemocht und gehofft, daß er auch mich mag. Beaumont
war natürlich der eigentliche Boß, aber er lebte in der
geläuterten Atmosphäre irgendwelcher Olympischen Höhen,
von denen aus er Geringeres als eine internationale Krise oder
die Zersplitterung des Kabinetts nicht wahrnehmen konnte.
Manchmal sah man ihn einsam und majestätisch durch die
Redaktionsräume schreiten, den Blick nach innen und die
Gedanken auf den Balkan oder den Persischen Golf gerichtet.
Beaumont war über und jenseits von uns. Aber McArdle war
sein Oberstleutnant, und ihn kannten wir. Der alte Mann
nickte, als ich hereinkam, und schob die Brille auf die Stirn.
»Wie ich höre, Mr. Malone«, sagte er mit seinem stark
schottischen Akzent, »machen Sie sich sehr gut.«
Ich machte eine leichte Verbeugung.
»Der Bericht über das Grubenunglück war ausgezeichnet.
Und der über den Großbrand in Southwark ebenfalls, Sie
schreiben einen spannenden Stil. Und warum wollen Sie mich
jetzt sprechen?«
»Weil ich Sie um einen Gefallen bitten will.«
Er sah mich erschreckt an. »Ach, du meine Güte!« sagte er
mit gequälter Stimme. »Was für einen Gefallen denn?«
»Ich wollte Sie bitten, Sir, mir eine Reportage zu übergeben,
wo ich persönlichen, taktischen Einsatz bringen muß. Ich
verspreche Ihnen, mich durchzuboxen und Ihnen einen
entsprechenden Bericht zu liefern.«
»Und woran haben Sie da gedacht, Mr. Malone?«
»An irgend etwas, Sir, das mit Abenteuer und Gefahren
verbunden ist. Je schwieriger, desto besser.«
»Sie scheinen mit aller Gewalt Ihr Leben verlieren zu
wollen.«
»Nein, Sir, ich möchte es rechtfertigen.«
»Ach, du meine Güte!« rief er mit derselben gequälten
Stimme. »Das klingt aber sehr exaltiert. Ich glaube, diese Zeiten
sind vorbei. Die Ausgaben für den sogenannten Frontauftrag
sind noch nie in einem gesunden Verhältnis zum Resultat
gestanden. Außerdem wurden
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