Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vergessene Welt

Die Vergessene Welt

Titel: Die Vergessene Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sir Arthur Conan Doyle
Vom Netzwerk:
Stirnwinkel
    oder nach irgendwelchen anderen Methoden urteilt«, sagte er
    mit seiner schulmeisterlichen Art, »man kann die
    Entwicklungsstufe dieser Leute durchaus nicht als primitiv
    bezeichnen. Im Gegenteil, ich würde sie weit höher ansetzen als
    die Entwicklungsstufe von so manchem südamerikanischen
    Indianerstamm, der mir begegnet ist. Wie sich diese Rasse hier
    entwickelt haben kann, können wir uns mit unseren
    herkömmlichen Theorien nicht erklären. Das gilt meiner
    Meinung nach auch für die Affenmenschen. Sie sind so viel
    höher entwickelt als jedes Tier, das uns bisher hier begegnet ist,
    daß man den Ursprung ihrer Entwicklungsgeschichte nicht
    hier auf diesem Plateau suchen darf.«
    »Aber sie können ja nicht vom Himmel gefallen sein«, sagte
    Lord John.
    »Das mit Sicherheit nicht«, sagte Professor Challenger.
    »Die Frage ihres Ursprungs wird in wissenschaftlichen Kreisen
    Europas und Amerikas heftige Diskussionen auslösen. Ich
    habe natürlich bereits meine Erklärung für das Phänomen.« Er
    warf sich in die Brust und setzte eine hochmütige Miene auf.
    »Folgendes: Den gegebenen Bedingungen der geografischen
    Lage des Landes entsprechend, hat sich das tierische Leben
    bis zum vertebralen Stadium entwickelt, wobei alte Spezies
    überlebten und gemeinsam mit den neuen Formen tierischen
    Lebens dieses Plateau bevölkerten. Daher treffen wir
    neuzeitliche Geschöpfe wie den Tapir an – ein Tier mit einer
    stattlich langen Ahnenreihe –, den Hirsch und den
    Ameisenbär, wie auch Reptilien des Jurazeitalters. Soweit ist
    der Fall klar. Aber – wie steht es nun mit den Affenmenschen
    und den Indianern? Wie soll sich der wissenschaftlich denkende
    Mensch ihre Anwesenheit auf diesem Plateau erklären? Doch
    nur durch eine Invasion von außen. Es ist durchaus denkbar,
    daß in längst vergangenen Zeiten ein anthropoider Affe in
    diesen Breitengraden existiert und seinen Weg auf das Plateau
    gefunden hat. Er hat sich weiterentwickelt, und schließlich
    wurde er zu der Kreatur, die wir gesehen haben und die …« –
    er sah mich mit scharfem Blick an – »zum Teil vom Aussehen
    und der Gestalt her mit den Menschen verglichen werden
    könnte, wäre sie mit Intelligenz ausgestattet.«
    »Ja, mit Intelligenz«, warf Lord John ein.
    Professor Challenger ignorierte die Bemerkung. »Was nun
    diese Indianer anbelangt«, fuhr er unbeirrt fort, »so besteht für
    mich kein Zweifel, daß sie erst später auf das Plateau
    gekommen sind. Von Hunger und dem Kampf ums Dasein
    getrieben, haben sie sich in das Maple-White-Land geflüchtet.
    Da sie hier wilde Tiere vorfanden, Ungeheuer von bisher nicht
    gekannter Scheußlichkeit und Brutalität, haben sie sich in
    Höhlen verschanzt – unser junger Freund hat die Lage dieser
    Höhlen beschrieben und sie mit eigenen Augen gesehen. Aber
    nicht nur monströse Ungeheuer zählten zu den Feinden der
    Neuankömmlinge, sondern auch die Affenmenschen, die jene
    als Eindringlinge betrachteten und einen erbitterten Kampf
    gegen sie führten und noch führen. Einen Kampf, der mit
    einer Schläue geführt wird, zu der die Ungeheuer nicht fähig
    sind. Und damit dürfte wohl auch ihre begrenzte Anzahl
    erklärt sein. Die der Indianer, meine ich natürlich. Habe ich
    mich verständlich ausgedrückt, meine Herren, oder sind noch
    irgendwelche Erklärungen nötig?«
    Professor Summerlee war zu erschöpft, um das übliche
    Streitgespräch
    anzuzetteln,
    und
    schüttelte
    lediglich
    mißbilligend den Kopf, während Lord John erklärte und sich
    dabei am Kopf kratzte, daß dies nicht seine Gewichtsklasse sei
    und er daher auf einen Kampf verzichte.
    Und ich, ich war wieder einmal derjenige, der den Dingen
    durch seine prosaische und praktische Art die plötzliche
    Wende gab. Diesmal mit der Feststellung, daß einer der
    Indianer verschwunden war.
    »Erholt vielleicht bloß Wasser«, sagte Lord John. »Eine der
    leeren Büchsen fehlt – das ist der Beweis.«
    »Wo holt er Wasser?« fragte ich. »Etwa in unserem
    Lager?«
    »Nein, vom Bach. Er ist bloß ein paar hundert Meter von
    hier entfernt. Aber er läßt sich Zeit, stelle ich fest.«
    »Ich sehe mal lieber nach«, sagte ich, nahm mein Gewehr
    und ging.
    Es mag unbesonnen erscheinen, daß ich die Deckung
    unseres Dickichts aufgab, und sei es auch nur für ein so
    kurzes Stück. Man muß jedoch bedenken, daß wir viele Meilen
    vom Affendorf entfernt waren, die Bestien offenbar unseren
    Schlupfwinkel noch nicht entdeckt hatten

Weitere Kostenlose Bücher