Die Vergessene Welt
und ich mit meinem
Gewehr in der Hand keine Angst vor ihnen zu haben
brauchte.
Nach kurzer Zeit schon hörte ich das Gemurmel des Bachs,
aber ein Gestrüpp aus Bäumen und Buschwerk verdeckte ihn
noch. An einer Stelle, die eben außerhalb des Gesichtsfeldes
meiner Gefährten lag, bahnte ich mir einen Weg hindurch.
Plötzlich bemerkte ich etwas Rotes, das zusammengekrümmt
zwischen den Büschen lag. Als ich näher herankam, stellte ich
voller Schrecken fest, daß es die Leiche des vermißten Indianers
war. Er lag auf der Seite, die Knie an den Leib gezogen, den
Kopf unnatürlich verdreht, so daß er über seine eigene
Schulter zu blicken schien.
Ich rief nach meinen Freunden, rannte vorwärts und beugte
mich über den Toten. Mein Schutzengel muß in diesem
Augenblick ganz in meiner Nähe gewesen sein, denn irgendeine
instinktive Furcht oder vielleicht auch ein leises Rascheln in den
Blättern ließ mich hochblicken. Aus dem dichten, grünen Laub
über meinem Kopf kamen langsam zwei lange muskulöse, mit
roten Haaren bedeckte Arme herab. Noch einen Augenblick
länger, und die großen Hände hätten meine Kehle
umklammert. Ich sprang zurück, aber so schnell ich auch
reagierte, die Hände waren noch flinker. Wohl verfehlten sie
durch meinen plötzlichen Sprung ihren tödlichen Griff, aber die
eine packte mich im Genick und die andere am Gesicht. Ich riß
die Hände empor, um meine Kehle zu schützen. Im nächsten
Moment war die riesige Pfote von meinem Gesicht auf den Hals
herabgeglitten. Mühelos wurde ich vom Boden hochgehoben
und fühlte, wie ein unwiderstehlicher Druck meinen Kopf
weiter und weiter nach hinten zwang, bis die Spannung meiner
Halswirbel unerträglich wurde. Mit letzter Kraft zerrte ich an
der würgenden Hand und konnte sie von meinem Kinn
wegdrücken. Ich blickte hoch und sah in ein furchtbares Gesicht
mit erbarmungslosen hellblauen Augen, die derart hypnotisch
auf mich wirkten, daß ich mich plötzlich nicht mehr wehren
konnte. Als die Bestie spürte, wie ich in ihrem Griff
erschlaffte, blitzten zwei weiße Fangzähne zu beiden Seiten des
scheußlichen Mauls auf. Der Druck auf mein Kinn verstärkte
sich von neuem. Dünne, farbige Nebel schillerten vor meinen
Augen, und in meinen Ohren klingelten silberhelle Glöckchen.
Undeutlich hörte ich aus weiter Ferne einen Schuß krachen und
spürte, wie ich fiel und auf den Boden aufschlug, wo ich
besinnungslos liegenblieb.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich in unserem Versteck.
Jemand hatte Wasser vom Bach geholt, und Lord John benetzte
mir die Stirn, während mir Challenger und Summerlee mit
besorgten Gesichtern den Kopf stützten. Für einen Moment tat
ich einen Blick in die menschlichen Seelen hinter den
wissenschaftlichen Masken. Es war mehr der Schock als eine
wirkliche Verletzung, was mich umgeworfen hatte, und schon
nach einer halben Stunde konnte ich mich – wenn auch mit
schmerzendem Kopf und steifem Nacken – wieder aufsetzen.
»Mein lieber Malone, Sie sind gerade noch mal
davongekommen«, sagte Lord John. »Als ich Ihren Schrei
hörte, angerannt kam und den halb verdrehten Kopf und Ihre
zappelnden Beine sah, dachte ich schon, wir wären einer
weniger. In meiner Aufregung habe ich das Biest verfehlt, aber
es hat Sie wenigstens losgelassen und war weg wie der Blitz.
Verflixt! Wenn wir fünfzig Mann mit Gewehren hier hätten,
ich würde die verdammte Bande ausräuchern und dieses Land
gesäuberter verlassen, als wir es angetroffen haben.«
Es stand nun fest, daß die Affenmenschen uns aufgespürt
hatten und wir von allen Seiten beobachtet wurden. Während
des Tages hatten wir nicht viel zu befürchten, aber im Dunkeln
würden sie über uns herfallen. Je eher wir also aus ihrer
Nachbarschaft verschwanden, desto besser. Auf drei Seiten
waren wir von dichtem Wald umgeben, dort konnten wir in
einen Hinterhalt geraten. Auf der vierten Seite aber – die zum
See hin abfiel – gab es nur niedriges Unterholz und vereinzelte
Bäume, dazwischen gelegentlich eine Wiese. Dort entlang lief
auch der Weg, den ich auf meiner nächtlichen Wanderung
genommen hatte. Er führte uns direkt auf die Höhlen zu. Alles
sprach also dafür, diese Richtung einzuschlagen.
Unser altes Lager gaben wir höchst ungern auf – nicht allein
der Vorräte wegen, sondern vor allem, weil wir die Verbindung
zu Zambo verloren. Munition war ausreichend vorhanden, jeder
war noch im Besitz seines Gewehrs, und das
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