Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
Detektivspielchen mit mir spielen können.«
»Sie haben mich nicht herbestellt. Ich bin gekommen, weil ich einen Termin mit Ihrer Frau ausgemacht habe.«
»Was denken Sie nur von sich! Sie sind nur hier, weil ich Sie hier haben will. In diesem Haus geschieht überhaupt nichts, ohne dass ich es will. Merken Sie sich das!«
Der Alte klingt, als würde er ihn nun bald aus dem Haus werfen lassen, und sollte Kimski nicht sofort gehen wollen, die Polizei rufen. Der ehemalige Offizier ist wieder erwacht. Doch mit einem Mal verfliegt der drohende Ausdruck aus dem Gesicht des Alten, die faltigen Hautlappen fallen in sich zusammen.
»Jeden Abend sehe ich sie«, murmelt er.
»Wen sehen Sie?«
»Die toten Juden! Sie verfolgen mich in meinen Träumen, zwischen dem Einschlafen und Erwachen. Es fing vor ein paar Jahren an und es ist immer schlimmer geworden. Als dieser Lautenbach dann hier auftauchte und die alten Geschichten wieder ausgraben wollte, wurde es unerträglich. Seither kann ich nicht mehr schlafen. Dabei soll man doch die Vergangenheit ruhen lassen. Wen interessieren die alten Geschichten heute noch?«
»Mehr Menschen, als Sie denken.«
Kimski lehnt sich auf die Tischkante, legt die Mappe zur Seite und verschränkt seine Arme.
»Wie ist Lautenbach eigentlich auf Ihre wahre Identität gekommen?«
»Ich weiß es nicht genau. Wahrscheinlich hat er eine Liste mit Namen abgearbeitet, ob einer von ihnen noch lebt.«
»Sie meinen die Namen von Kriegsverbrechern?«
Der Alte seufzt.
»Wenn Sie das so nennen wollen.«
»Und Ihr Name stand auch auf der Liste?«
»Der Name Schulze, was plausibel wäre. Lautenbach hatte jedenfalls einige Unterlagen dabei über ...«, Kampowski macht eine Kunstpause, »über Schulze. Darin stand auch, dass ich aus Heidelberg stamme. Da er ganz in der Nähe wohnte, wollte er wohl herausfinden, ob es noch Angehörige von mir in Heidelberg gibt. Dabei fand er heraus, dass diese Villa früher im Besitz meiner Familie war, es quasi immer noch ist. Als ich vor zwanzig Jahren nach Deutschland zurückkehrte, habe ich sie unter meinem neuen Namen meiner älteren Schwester abgekauft, die mittlerweile verstorben ist. Lautenbach konnte zuerst nicht wissen, wer ich wirklich bin. Aber irgendwie muss er sich das Haus angesehen und mich im Garten beobachtet haben. Er hatte ja ein altes Bild von mir, sodass er mich wohl erkannt hat.«
»Haben Sie Ihre wahre Identität geleugnet, als er bei Ihnen war?«
»Natürlich. Er hatte doch gar keine Beweise.«
»Wo waren Sie eigentlich nach dem Krieg? Sie sagten eben, Sie kehrten erst vor zwanzig Jahren nach Deutschland zurück?«
»Nachdem Mannheim von den Amerikanern eingenommen worden war, flüchtete ich zuerst nach Norddeutschland. Von dort bin ich mit anderen SS-Männern nach Spanien gereist. General Franco empfing uns Veteranen damals mit offenen Armen, wussten Sie das nicht? Dort lebte ich unbehelligt, habe geheiratet, mir ein Geschäft aufgebaut und es zu etwas Wohlstand gebracht.«
»Aber glücklich wurden Sie nicht.«
Der Alte betätigt einen Knopf an seinem Rollstuhl und das Gefährt dreht zur Seite. Langsam fährt Kampowski zum Fenster, Kimski in seinem Rücken, und sieht hinaus.
»Alter ist eine schlimme Sache.«
»Vielleicht kommt es nur darauf an, wie man gelebt hat«, sagt Kimski und wundert sich kurz darauf über sich selbst, warum er auf einmal so neunmalklug klingt.
»Ich habe Sie herbestellt, damit Sie diese Akte mitnehmen. Ich will, dass sie aus meinem Leben verschwindet.«
»Ihnen ist klar, dass ich die Unterlagen gegen Sie verwenden kann?«, fragt Kimski.
Er nimmt den Umschlag und erhebt sich.
»Das ist mir egal. Was will man gegen einen alten Krüppel wie mich schon unternehmen? Ich will, dass die Dokumente aus meinem Haus verschwinden.«
Kimski widerspricht ihm nicht.
»Und dann will ich Sie nie wieder hier sehen. Haben Sie das verstanden?« Der Befehlston kehrt zurück.
Kimski tritt hinter ihn. »Können Sie mir noch sagen, wo ich Ihre Frau finde?«
»Sie ist bei einer Freundin in Mannheim.«
Kimski verlässt das Haus durch das Hauptportal und denkt nach. Der Alte hat ihm tatsächlich das belastende Material überlassen. Ob er sich davon eine Art Absolution erhofft? Die kann Kimski ihm wohl kaum erteilen.
Er steigt in seinen Wagen und legt die Akte neben sich auf den Beifahrersitz. Die Heidelberger Altstadt liegt friedlich vor ihm, als er am Schloss vorbei den Berg hinabfährt. Es wird Zeit, dass er Maria
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