Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
Plastikfolie mit dem Vertrag zurück. »Vielleicht finden die Kollegen Fingerabdrücke darauf.«
Die beiden Kommissare erheben sich und verlassen den Raum. Benesch lehnt sich zurück und sieht aus dem Fenster. Wenn die Abzüge kommen, werden sie mehr wissen. Sie werden die Bilder Fachleuten geben, die die Gesichtszüge vermessen und nach Übereinstimmungen suchen. Aber eigentlich hat er im Gefühl, wie die Antwort lauten wird – Friedrich Schulze und Adelbert Kampowski sind ein und dieselbe Person. Aber wer sollte ihnen diese Information umgehend nach dem Mord zuspielen? Und warum?
Sonnenstrahlen kitzeln sein Gesicht. Er sieht auf seine Armbanduhr. Viertel vor zehn. Mühsam erhebt er sich von der Bank, auf der er eine Stunde vor sich hin gedöst hat, Sicht auf das Heidelberger Schloss eingeschlossen – immerhin.
Kimski läuft durch die Altstadt zum Marktplatz und sieht sich um. Vor dem Rathaus herrscht geschäftiges Treiben. Eine überdachte Bühne ist aufgestellt worden, Biertische, Luftballons, Transparente und jede Menge Infostände. Er blickt in den blauen Himmel. Die Überdachung für die Bühne hätte man sich heute sparen können. Keine Wolke ist zu sehen und es verspricht, ein heißer Tag zu werden.
Orientierungslos schlendert er über den Platz, der sich rasch mit Menschen füllt, und betrachtet das Treiben. Er wandert vom Kuba- zum DGB-Stand, dann weiter vorbei am Stand der SPD, passiert den Informationstisch der Linken und landet unerwartet vor dem Stand der VVN . Die Abkürzung kennt er doch, denn er ist mehrmals über sie in den Büchern zum Mannheimer Widerstand gestolpert. Kimski tritt näher heran und liest die Unterzeile auf dem großen Transparent: Vereinigung der Verfolgten des Nationalsozialismus e.V .
»Hallo.«
Eine Stimme, die von der Seite in sein Ohr dringt, lässt ihn zusammenfahren. Kimski blickt nach links. Der Mann neben ihm lässt eine Zeitschrift herabsinken. Er trägt eine große Sonnenbrille, wie sie in den Siebzigerjahren modern war, und eine schwarze Baseballmütze. Er hat sich seit einigen Tagen nicht rasiert, aber Kimski erkennt ihn sofort wieder. Sebastian Maibaum, mit einem schiefen Lächeln im Gesicht.
»Sie interessieren sich auch für Widerstandskämpfer?«
»Man muss auf dem Laufenden bleiben«, entgegnet Sebastian.
Dann sieht er zu dem Mann mit den langen Rastalocken, der auf der anderen Seite des Stands steht, und wohl eher ein Enkel eines Verfolgten des Nationalsozialismus ist als ein echter Veteran.
»Wie viel kostet die Zeitung?«
»Zwei Euro.«
»Bitte.« Sebastian greift in seine Hosentasche und legt ein 2-Euro-Stück auf den Tisch. Danach wendet er sich wieder an Kimski.
»Lassen Sie uns ein wenig lustwandeln.«
Lustwandeln? Will der Kerl witzig sein oder ist er ein Spinner? Oder wieder mal ein Geschichtsverrückter?
Sie laufen ein paar Meter seitlich des Platzes entlang. Auf der Bühne beginnt eine Band mit dem Soundcheck.
»Was ist mit Eva?«
Sebastian lacht.
»Immer wieder dieselbe Frage. Machen Sie sich keine Sorgen, momentan geht es ihr gut. Aber wenn das so bleiben soll, sollten wir beide zusammenarbeiten.«
Sebastian bleibt stehen und sieht Kimski direkt in die Augen.
»Was ist mit den Beweisen, die Sie gegen mich haben? Ich will sie sehen.«
»Das geht nicht.«
»Habe ich mir gleich gedacht. Sie wollen nur bluffen.«
Kimski schüttelt den Kopf.
»Die Beweise sind alle hier drin.« Er klopft sich mit der Faust auf den Schädel.
»So?«
»Sehen Sie mal, das ist doch alles ganz einfach. Sie fühlen sich sicher, weil es momentan offenkundig keine Verbindung zwischen Ihnen und Kampowski gibt, außer dass Sie sein Pfleger waren. Und solange Sie bei dem Mord vorsichtig vorgegangen sind und darauf geachtet haben, dass sich nur meine Fingerabdrücke auf dem Degen befinden, wird die Polizei gar nicht erst in Ihre Richtung ermitteln. Ihre Spuren befinden sich sowieso im ganzen Haus.«
»Und weiter?«
»Was aber, wenn es doch noch eine andere Verbindung zwischen Ihnen und dem Opfer gibt?«
»Und wie soll diese Verbindung aussehen?«
»Nun, ich könnte zur Polizei gehen und denen erzählen, dass Adelbert Kampowski in Wirklichkeit Friedrich Schulze hieß und ein gesuchter Naziverbrecher war. Schulze war in Mannheim bei der Gestapo und deckte eine Widerstandsgruppe auf, zu der auch Klara Maibaum gehört hat.«
Sebastians Grinsen friert für einen Moment ein. Kimski kann förmlich in seinem Gesicht lesen, wie es in dessen Kopf zu rattern
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