Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
haben sich auch viel Mühe gegeben, alle Indizien auf mich zu lenken, nicht wahr?«
Stille am anderen Ende der Leitung. Er ist tatsächlich auf den wunden Punkt gestoßen.
»Was ist mit Eva?«
»Lassen Sie uns nicht am Telefon darüber sprechen.«
»Na gut. Dann komme ich bei Ihnen vorbei.«
»Nein.« Sebastian klingt jetzt wieder bestimmter. »Treffen wir uns an einem neutralen Ort. In ein paar Stunden beginnt die Kundgebung zum Ersten Mai auf dem Marktplatz der Heidelberger Altstadt. Kommen Sie um 10 Uhr dort hin.«
»Können wir uns nicht sofort treffen?«
»Nein. Denken Sie daran, dass Sie mit mir über Eva sprechen wollen.« Sebastian betont Evas
Namen und wirkt wieder viel selbstsicherer.
Kimski kann sich geradezu vorstellen, wie er am anderen Ende der Leitung grinst.
»Na gut.«
»Also bis dann. Und bringen Sie Ihre Beweise ruhig mit. Ich sehe sie mir gern an. Und bitte versuchen Sie keine krummen Sachen, ich verlasse mich auf Sie.«
Kimski hängt den Hörer ein und stützt sich ab. Sebastian ist also der Mörder von Adelbert Kampowski. Vielleicht ist er auch für die anderen Morde verantwortlich. Jonathan Lautenbach könnte er kennengelernt haben, als dieser bei den Kampowskis vorstellig wurde. Von Eugen Kämper könnte er gehört haben, als Maria Kimski am Gardasee anrief, um sich nach den Ergebnissen seiner Ermittlungen zu erkundigen. Er war immerhin die ganze Zeit über bei ihr im Haus. Und Eva? Ob er Kimski beschattet hat und so auf Eva gestoßen ist? Möglich wäre alles.
Fehlt nur noch ein Motiv. Warum sollte Sebastian die Männer umbringen, die mit seiner Mutter im Widerstand waren? Wer weiß, ob Klara Maibaum überhaupt seine Mutter ist? Vielleicht ist sie auch seine Tante oder sonst wer. Das ergibt alles überhaupt keinen Sinn und nun muss er auch noch zum vierten Mal in dieser Nacht die Strecke zwischen Mannheim und Heidelberg zurücklegen. Kimski will schon zum Hörer greifen und sich ein Taxi rufen, als er eine bessere Idee hat. Er schlägt das Telefonbuch auf, findet die Nummer, die er sucht, und wählt.
38.
Donnerstag, 1. Mai
Heidelberg
Als Benesch sein Büro betritt, warten dort bereits zwei Kommissare aus der Sonderkommission Sturm auf ihn.
»Morgen, die Herren. Hoffe, Sie haben auch so gut geschlafen wie ich.«
»Natürlich«, sagt einer der beiden lakonisch.
»Na, dann ist ja alles klar«, murmelt Benesch und lässt sich auf einen Stuhl fallen. Den Galgenhumor haben sie in der Abteilung jedenfalls noch nicht verloren. »Gibt’s was Neues?«
»Allerdings. Diese Fotokopie lag heute Morgen im Briefkasten des Präsidiums. Der Umschlag hat keinen Absender und als Empfänger ist unser Dezernat angegeben.«
Der Kommissar schiebt ein Blatt über den Tisch, das in einer Klarsichtfolie steckt.
»Was ist das?«
Benesch nimmt das Dokument in die Hand, aber so sehr er sich auch anstrengt, in seiner momentanen Verfassung kann er nur einen Haufen Buchstaben erkennen, für zusammenhängende Worte ist es noch zu früh.
»Ein Kaufvertrag zwischen Adelbert Kampowski, dem Toten von heute Nacht, und einer Frau Schulze, der belegt, dass er ihre Villa erworben hat.«
»Wir haben uns mal schlau gemacht wegen dieser Frau. Und wissen Sie was?«, sagt der zweite Kommissar.
»Nein.« Benesch braucht unbedingt eine Tasse Kaffee, so viel steht fest.
»Wir haben die Daten der Frau überprüft. Sie ist schon ein paar Jahre tot, hatte aber einen Bruder Friedrich, der seit Ende des Zweiten Weltkriegs verschollen ist. Er wird aber immer noch als Kriegsverbrecher gesucht.«
»Es kommt noch besser. In der Datenbank der Ludwigsburger Kollegen haben wir ein altes Passbild von Friedrich Schulze gefunden. Hier.«
Der Kommissar schiebt ein weiteres Blatt über den Schreibtisch. Auch mit müden Augen kann Benesch eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Toten und Schulze nicht von der Hand weisen.
»Wie alt wäre dieser Friedrich heute?«
»Ungefähr neunzig.«
»Also in etwa so alt wie Adelbert Kampowski?«
»Genau.«
Benesch betrachtet das Bild noch eine ganze Weile. Die Augen des Mannes auf dem Foto leuchten vor jugendlichem Enthusiasmus. Das ist einer, dem die Welt offensteht, der etwas erleben will, der noch Hoffnung hat und vom Leben etwas erwartet. Er scheint ganz anders zu sein als die tote Hülle des Menschen, die er heute Nacht gesehen hat.
»Können Sie mir die Fotos von der Leiche besorgen?«
»Sind schon unterwegs.«
»Danke. Das hier kommt in die KTU.« Benesch schiebt die
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