Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
zu suchen, als er bemerkt, dass sein eigentliches Zielobjekt gerade dabei ist, an einer T-Kreuzung abzubiegen, und er es komplett aus den Augen verlieren würde, wenn er sich nicht beeilt. In dem Fall bräuchte er auch kein Mobiltelefon mehr, um Kimski mitzuteilen, wo sich der Flüchtige befindet. Also fährt er weiter. James Bond lässt sich von Rückschlägen auch nicht von einer Mission abbringen.
40.
Auf der Höhe von Dossenheim biegt der Wagen ab und schlängelt sich durch die engen Straßen des alten Ortskerns den Berg hinauf. Carlo folgt ihm, immer den nötigen Abstand wahrend. Nachdem sie ein paarmal abgebogen sind, landen sie auf einem Feldweg, der direkt in die Weinberge führt. Carlo lässt sich noch weiter zurückfallen, denn auf dem wenig befahrenen Weg würde es umso mehr auffallen, dass er den anderen verfolgt.
Nachdem der dunkelblaue Audi weitere zwei Mal abgebogen ist, hat Carlo ihn tatsächlich aus den Augen verloren und muss an einer Kreuzung auf gut Glück entscheiden, wohin er fahren soll. Und tatsächlich findet er das Auto. Es steht hinter einer Biegung am Wegrand geparkt.
Carlo stellt seine Vespa auf der anderen Seite der Kurve ab und läuft los. Der Fahrer des Wagens ist in einiger Entfernung noch zu sehen. Carlo zieht seinen signalroten Helm ab und folgt ihm.
Nach ein paar Hundert Metern biegt der Mann auf einen Trampelpfad ab, der zu einem Schrebergarten führt.
Carlo geht hinter einem Gebüsch in Deckung und beobachtet das Grundstück. Es ist ziemlich verwuchert, aber zwischen all dem Wildwuchs macht er eine kleine Hütte aus. Hat er Eva dort drinnen versteckt? Carlo muss unbedingt Kimski kontaktieren, nur womit? Er hat ja kein Handy mehr. Und selbst wenn er irgendwo eine Möglichkeit zum Telefonieren finden würde, gibt es ein Problem, denn er hat keine Nummer, unter der er Kimski erreichen könnte.
Kimski versucht bereits zum dritten Mal, Carlo anzurufen, nachdem dieser sich nicht mehr gemeldet hat. Doch Carlo hat anscheinend sein Handy ausgeschaltet. Das hat man nun davon, einen mutmaßlichen Alkoholiker für eine Beschattungsaktion zu verpflichten. Aber es gab sonst niemanden, den er hätte fragen können, und auf Carlo scheint Sebastian noch nicht aufmerksam geworden zu sein. Vielleicht meldet sich Carlo auch gleich und alle Aufregung war umsonst. Aber bis dahin sollte er sich auf den Ernstfall vorbereiten. Irgendwann wird Sebastian anrufen und dann darf er sich nicht in die Enge treiben lassen.
Er läuft eine Gasse entlang, bis er an der Neckarpromenade ankommt, und greift in einen Mülleimer. Die Doktorarbeit ist immer noch dort, wo er sie heute Morgen deponiert hat – unter den Resten einer McDonalds-Tüte und einer fauligen Bananenschale. Er zieht die Seiten heraus und wedelt sie einmal kräftig durch die Luft. Kimski klemmt die Unterlagen unter seinen Arm, stellt sich an das Geländer und blickt auf den Fluss hinab.
Sebastian betritt die Hütte und geht zum Kühlschrank. Er holt sich eine Flasche Bier heraus und öffnet sie. Es ist eigentlich nicht sein Stil, vormittags Alkohol zu trinken, aber er findet, dass er sich eine erfrischende Abkühlung verdient hat.
»Hallo«, sagt er ganz nebenbei, als er an Eva vorbeigeht, die auf einem Stuhl in der Ecke sitzt. Sie erwidert seine Begrüßung nicht. Wie auch, sie hat ja einen Knebel im Mund. Außerdem sind ihre Arme und Beine an den Stuhl gefesselt.
Sebastian lehnt sich an die kleine Kommode, die ihr gegenübersteht und betrachtet sie. Er lächelt. Sie hingegen starrt auf irgendeinen Punkt im Raum und tut so, als sei er gar nicht da. Sie sieht jetzt nicht mehr so schön aus wie bei ihrer ersten Begegnung, was eigentlich schade ist. Es hat ihm gefallen, wie sie sich ihm hingegeben hat, obwohl sie nur sein Trumpf gegen Kimski ist. Am liebsten hätte er sie gar nicht ins Spiel gebracht, aber nun ist es eben so weit gekommen und er muss sich Gedanken machen, was er mit ihr anstellen will, wenn das alles vorbei ist. Jetzt, wo ihre ganze Anmut verflogen ist und sie weiß, dass er nicht der nette Lukas ist.
Er nimmt einen ausgiebigen Schluck aus der Flasche und stellt das Bier zur Seite. Er verschränkt die Arme und schaut sie noch eine Weile an. Eva sieht zwar etwas mitgenommen aus, aber wenn er ehrlich ist, bringt sie sein Blut immer noch in Wallung. Ist es die Angst, die er in ihren Augen sieht? Und das Wissen darum, dass er totale Macht über sie hat? Der Gedanke ist tatsächlich erregend, das Gefühl hat er so
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