Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
noch gar nicht gekannt. Es fühlt sich gut an. Vielleicht würde sich doch noch eine Verwendung für sie finden, wenn er mit Kimski abgerechnet hat.
Sebastian steht auf. »Sag mal, musst du eigentlich mal aufs Klo?«
Darüber hat er noch gar nicht nachgedacht, sie sitzt jetzt schon seit ein paar Stunden so da. Er sucht sich fast drei Minuten durch die alten Schränke, bis er einen Topf gefunden hat, den er für geeignet hält. Zuerst lockert er Evas Knebel und schüttet, bevor sie überhaupt etwas sagen kann, etwas von seinem Bier in ihren Mund.
»Trink was, ich bin doch kein Unmensch.«
Danach zieht er den Knebel wieder fest und geht in die Knie, schiebt ihr Kleid hoch und zieht ihren Schlüpfer herunter. Jetzt zeigt Eva Regung, sie zappelt und versucht zu schreien.
»Hab dich nicht so. Ich habe dich bereits nackt gesehen, schon vergessen?«
Die Prozedur stellte sich als schwieriger heraus, als er gedacht hatte, außerdem hat es eine Ewigkeit gedauert. Aber nachdem er den Topf irgendwie zwischen Evas Körper und den Stuhl gezwängt und er sich umgedreht hatte, verrichtete sie tatsächlich ihre verspätete Morgenwäsche.
Danach ist er nach draußen gegangen und hat sich auf die alte morsche Holzbank im hinteren Teil des Gartens gesetzt, um die Details seines Plans zu überdenken. Nach etwa einer halben Stunde greift er zu seinem Handy und ruft zuerst Kimski an. Zum Glück war er darauf vorbereitet gewesen, als Kimski ihm sagte, er habe kein Telefon bei sich. Sebastian hatte am Morgen extra sein zweites Mobiltelefon eingesteckt, weil er wusste, dass es später unabdingbar sein würde, um mit Kimski jederzeit in Kontakt treten zu können.
Das Handy hatte er mitsamt einer Prepaid-Karte bei Tchibo gekauft und bar bezahlt, sodass es keine Spur gibt, die man bis zu ihm zurückverfolgen könnte. Wahrscheinlich werden seine Fingerabdrücke auf dem Apparat zu finden sein, wenn man diesen nach Kimskis Tod sichert, aber er ist sich nicht sicher, ob man diese überhaupt nehmen wird. Und wenn doch, dann wird man damit noch lange nicht auf seine Spur kommen, denn er ist nicht vorbestraft und sein Name taucht in keiner Kartei auf.
»Ja?«, meldet sich Kimski am anderen Ende der Leitung.
»Wir treffen uns nach Einbruch der Dunkelheit an der Thingstätte in Heidelberg. Finden Sie dorthin?«
»Ja. Vergessen Sie nicht, Eva mitzubringen.«
»Wie könnte ich. Sie finden uns in dem großen Durchgang in der Mitte der Bühne.«
Er legt auf. Danach wählt Sebastian die Nummer der Polizeidirektion Heidelberg.
»Verbinden Sie mich mit der Mordkommission.«
Carlo hat den halben Tag im Gebüsch gelegen. Mittlerweile färbt sich der Himmel rot, bald wird die Sonne untergehen. Erst nachdem er aufgestanden ist und sein rechter Fuß bei dem Versuch aufzutreten umknickt und er sich an einem Dornenstrauch abfangen muss, merkt er, dass dieser eingeschlafen ist. Außerdem hat er ein halbes Ameisenvolk in seiner Hose. Er schüttelt sich.
Was soll er tun? Kimski hat ihm klare Anweisungen gegeben und die sehen so aus, dass er nur beobachten soll. Aber er hat seit einigen Stunden überhaupt keine Regung außerhalb der Hütte feststellen können. Er könnte sich eine Waffe bauen, vielleicht eine Art Keule bestehend aus einem Ast und etwas Stacheldraht, mit der er das Versteck stürmen könnte. Aber was dann, kleiner Bruder James Bonds?
Während er nachdenkt, hört er Schritte hinter sich und fährt herum. Der Mann ist aus der Hütte getreten und kommt auf das Gartentor zu. Carlo springt wieder ins Gebüsch und wartet so lange, bis der andere an ihm vorbeigelaufen ist. Der Mann geht zu seinem Audi, vorsichtig steht Carlo auf. Dass seine Hand zu zittern beginnt, ignoriert er wohlwollend.
Und jetzt? Soll er dem Kerl weiterhin folgen, wie es ihm aufgetragen wurde, oder soll er nachsehen, was sich in dem Gartenhaus befindet? Das hätte zur Folge, dass er die Spur seines Zielobjekts vielleicht nie wiederfinden wird. Er kann ja auch nicht mit Sicherheit sagen, dass Eva sich im Garten befindet. Was, wenn der Entführer sie an einem ganz anderen Ort versteckt hält?
»Au Backe«, denkt Carlo. Immer diese Entscheidungen.
41.
Bereits auf dem Trampelpfad durch den Wald hat man das Gefühl, als wandle man auf einer Müllhalde. Wie muss es erst oben auf dem Berg aussehen? In der Nacht vom 30. April auf den Ersten Mai treffen sich jedes Jahr Zigtausende junge Leute auf dem Gelände der Thingstätte. Das Aufräumen hingegen dauert Wochen.
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