Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
Geschichte weitergeht? Anschließend fuhr ich zurück zu dem alten Mann, der Sturm tobte noch immer. Ich klingelte und die Tür öffnete sich. Meine Maskierung setzte ihm so mächtig zu, dass er allein deswegen beinahe in Ohnmacht gefallen wäre, sodass ich ihn gar nicht hätte niederschlagen müssen.«
»Und dann haben Sie sein Haus angezündet?«
»Ja, das war gar nicht so kompliziert. Danach ging ich zurück zu meinem Auto, das ich am Waldrand außerhalb des Orts geparkt hatte, und fuhr zurück nach Heidelberg. Ich dachte, jetzt Ruhe zu haben. Leider nicht allzu lang, denn drei Tage später tauchten Sie plötzlich bei uns auf. Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, was Maria dazu bewegt hatte, einen Privatdetektiv zu beauftragen, der die alten Vaterlandsverräter ausfindig macht. Als ich ihre Motivation dann endlich
kannte, fand ich die Idee gar nicht so schlecht. Es gab aus meiner Sicht nur einen Haken, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass Maria die alten Leute mit Geld ruhig stellen könnte.Was soll jemand, der nicht mehr lang zu leben hat, damit anfangen? Nein, ich wollte zu Ende bringen, was ich angefangen hatte. Ich habe Maria belauscht, als sie mit Ihnen telefonierte, und später ihre Handtasche durchsucht und den Zettel gefunden, auf dem sie den Namen notiert hatte. Eugen Kämper.«
Sebastian lehnt sich zurück und nimmt einen Schluck von seinem Milchkaffee.
»Na gut. Aber all das erklärt nicht, warum Sie Kampowski umgebracht haben.«
»Nach dem Mord an Kämper wollte ich die ganzen Akten, die der Alte im Keller gebunkert hatte, an mich nehmen. Ich habe Ihnen, wenn ich mich recht erinnere, sogar davon erzählt, als wir das erste Mal miteinander sprachen. Ich habe Ihnen damals nur nicht die ganze Wahrheit erzählt, denn selbstverständlich habe ich die Akten sehr wohl gelesen, als ich sie fand. Kampowski hat die Unterlagen total dilettantisch, ordentlich beschriftet einsortiert. Er muss sich sehr sicher gewesen sein, dass ihn die Vergangenheit nicht mehr einholen würde, und hielt es offensichtlich nicht für nötig, sie besser zu verstecken. Nicht sehr schlau. Als ich jedenfalls in den Keller kam, um die Akten zu holen, fehlte ausgerechnet die wichtigste, was ich mir nicht erklären konnte. Also tat ich das einzig Vernünftige und sprach den alten Kampowski direkt darauf an. Erst war er total perplex und wollte wissen, woher ich von den Unterlagen wüsste. Dann wurde er ungemütlich und warf mir vor, ihn schon die ganze Zeit über die Vergangenheit auszufragen und dass ich wohl nur zu ihm gekommen sei, um ihn auszuspionieren. Er bekräftigte, dass er von der Vergangenheit nichts mehr wissen wolle und deswegen würde er auch Ihnen die Akte geben, damit endlich Ruhe sei. Das Ganze traf mich ziemlich.«
»Ach was.«
»Natürlich. Aber dann hatte ich eine neue Idee.«
»Schon wieder.«
»Machen Sie sich nicht lustig. Ich wusste jetzt nämlich, wie ich die Sache endlich beenden würde. Kennen Sie die Geschichte von Horst Wessel?«
»Horst Wessel? Da gibt es doch dieses Lied, oder?«
»Ja. Horst Wessel war SA-Sturmführer gewesen, der auch Kampflieder geschrieben hat. Unter anderem Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen , was später unter dem Titel Horst-Wessel-Lied zur zweiten Nationalhymne des Dritten Reichs avancierte. 1930 wurde er in seiner Wohnung angeschossen und starb kurz darauf im Krankenhaus. Goebbels stilisierte ihn danach äußert erfolgreich zum Märtyrer.«
»Ja und?«
»Der Hintergrund seiner Ermordung wurde nie hundertprozentig geklärt. Interessant ist aber, dass Wessel sich bereits einige Monate vor seinem Tod aus den Kreisen von SA und Partei zurückgezogen hatte. Wessel lebte zu der Zeit mit einer Prostituierten zusammen, worüber die alten Kameraden wenig begeistert waren. Eines Tages kamen ein paar Männer in seine Wohnung und schossen ihm in den Kopf. Die Täter wurden gefasst, allesamt KPD-Mitglieder, aber das half bei der Aufklärung des Verbrechens recht wenig. Eine Theorie besagt, die Männer seien ein Schlägertrupp gewesen, der von der Vermieterin geschickt worden war, um die fällige Miete einzutreiben. Eine andere besagt wiederum, der Anführer der Gruppe sei ein Zuhälter gewesen, der sich rächen wollte, weil Wessel ihm zuvor sein Mädchen ausgespannt hätte. Goebbels proklamierte die Angelegenheit als politischen Mord. Vielleicht war er das ja tatsächlich, wer weiß. Aber getroffen hat es keinen völkischen Märtyrer, sondern einen Mann, der seine
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