Die vergessenen Welten 03 - Die selbernen Ströme
diese Lüge nicht recht verstand.
Die Frau musterte Wulfgar noch einmal und leckte sich die
Lippen. »Eine Schande«, stöhnte sie, und dann versicherte sie
sich bei Regis: »Nicht eine Münze?«
Regis zuckte hilflos die Schultern.
»Es ist eine Schande«, wiederholte die Frau und wandte sich zum Gehen.
Wulfgars Gesicht färbte sich tiefrot, als er den wahren Grund für ihr Interesse zu verstehen begann.
Aber in Regis regte sich etwas. Er wurde derart von der Sehnsucht nach den alten Zeiten, in denen er durch Calimhafens Vergnügungsviertel gezogen war, ergriffen, daß er nicht die Kraft hatte, ihr zu widerstehen. Als die Frau an ihm vorbeikam, faßte er sie an den Ellbogen. »Nicht eine Münze«, erklärte er bei ihrem fragenden Blick, »aber dies hier.« Er zog den Rubinanhänger unter seinem Umhang hervor und ließ ihn am Ende seiner Kette baumeln. Der funkelnde Stein zog sofort den gierigen Blick der Frau an, und seine Magie schlug sie in seinen hypnotischen Bann. Sie nahm wieder Platz, aber diesmal auf einem Stuhl ganz dicht bei Regis. Ihre Augen blieben unentwegt auf die Tiefen des wunderschönen Rubins geheftet, der sich vor Regis' Brust drehte.
Reine Verwirrung hielt Wulfgar zurück, über diesen Betrug zornig zu werden, und seine verschwommenen Gedanken und Gefühle spiegelten sich lediglich in einem verständnisvollen Blick.
Regis erhaschte den Blick des Barbaren, aber mit seiner typischen Neigung, negative Gefühle, wie etwa Schuldgefühle, zu verbannen, tat er ihn mit einem Schulterzucken ab. Sollte doch die Sonne seinen Trick an den Tag bringen. Das würde seiner Chance, diese Nacht zu genießen, keinen Abbruch tun. »Nachts weht in Luskan ein eisiger Wind«, sagte er zu der Frau.
Sie legte eine Hand auf seinen Arm. »Wir werden für dich ein warmes Bett finden, mach dir keine Sorgen.« Der Halbling strahlte von einem Ohr zum anderen.
Wulfgar mußte sich festhalten, um nicht vom Stuhl zu fallen.
Bruenor gewann nach der Verblüffung, daß es sich bei dem Informanten um eine Frau handelte, schnell seine Fassung wieder. Er wollte Raune nicht beleidigen oder ihr seine Überraschung allzu deutlich zeigen, um ihr keinen Vorteil ihm gegenüber einzuräumen. Sie erkannte jedoch schnell die Wahrheit, und ihr Lächeln brachte Bruenor erst recht durcheinander. Das Verkaufen von Informationen in einer Gegend wie Luskans Hafenviertel brachte ständigen Umgang mit Mördern und Dieben mit sich, und auch mit einem komplizierten Netz an Helfern war es eine Arbeit, die ein dickes Fell erforderte. Nur wenige, die Raunes Dienste begehrten, konnten ihre Verblüffung darüber verbergen, daß eine junge und verführerische Frau diesem Geschäft nachging.
Aber Bruenors Achtung vor der Informantin verringerte sich dadurch keineswegs, denn ihr guter Ruf war über Hunderte von Meilen zu ihm gelangt. Sie lebte immer noch, und diese Tatsache allein sagte dem Zwerg, daß sie gefährlich und ernst zu nehmen war.
Drizzt war über diese Entdeckung sehr viel weniger überrascht. In den düsteren Städten der Dunkelelfen hatten die Frauen normalerweise höhere Posten inne als die Männer und galten in der Regel als härter und gefährlicher. Drizzt sah schnell, daß Raune in den von Männern beherrschten Gesellschaften des gefährlichen Nordens ihren Vorteil daraus zog, daß ihre Kunden dazu neigten, sie als Frau zu unterschätzen. Darauf bedacht, das Geschäft zu erledigen und Luskan schnell wieder zu verlassen, brachte der Zwerg sein Anliegen sofort vor. »Ich brauche eine Karte«, begann er, »und ich habe erfahren, daß du sie mir besorgen kannst.« »Ich besitze viele Karten«, erwiderte die Frau kühl.
»Eine über den Norden«, fuhr Bruenor fort. »Vom Meer bis zur Wüste, auf der alles richtig benannt wird und auch die Rassen erwähnt werden, die dort leben.«
Raune nickte. »Der Preis wird hoch sein, guter Zwerg«, sagte sie, und ihre Augen blitzten, als sie an das viele Gold dachte. Bruenor warf ihr einen kleinen Beutel mit Edelsteinen zu. »Das sollte für deine Bemühungen reichen«, knurrte er, denn es gefiel ihm niemals, Geld herzugeben.
Raune leerte den Beutel in ihre Hand aus und überprüfte die ungeschliffenen Steine. Sie erkannte deren hohen Wert und nickte zustimmend, während sie sie wieder in dem Beutel verstaute.
»Halt!« protestierte Bruenor lautstark, als sie anfing, den Beutel an ihrem Gürtel zu befestigen. »Bevor ich nicht die Karte gesehen habe, bekommst du keinen einzigen
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