Die vergessenen Welten 03 - Die selbernen Ströme
Stein!«
»Natürlich«, erwiderte die Frau mit einem entwaffnenden Lächeln. »Wartet hier. Ich werde mit der gewünschten Karte gleich zurück sein.« Sie warf Bruenor den Beutel zu und drehte sich plötzlich im Kreis. Ihr Umhang flog hoch, und sie wurde in eine Nebelwolke gehüllt. Dann blitzte es einmal auf, und sie war verschwunden.
Bruenor sprang zurück und umklammerte seine Axt. »Was ist das für eine Hexenlist?« schrie er.
Drizzt, der unbeeindruckt blieb, legte dem Zwerg eine Hand auf die Schulter. »Beruhige dich, mächtiger Zwerg«, sagte er. »Ein kleiner Trick und sonst nichts, mit dem sie ihren Abgang mit Nebel und Blitz getarnt hat.« Er zeigte auf einen kleinen Bretterstapel. »Sie ist dort in den Abwasserkanal verschwunden.«
Bruenors Blick folgte der Richtung von Drizzts Arm, und der Zwerg entspannte sich wieder. Der Rand der Öffnung war kaum zu sehen, und das dazugehörige Gitter lehnte an der Wand eines Lagerhauses einige Meter weiter.
»Du kennst diese Art besser als ich, Elf«, sagte der Zwerg, der aufgrund seiner mangelhaften Kenntnisse im Umgang mit Straßendieben nervös war. »Hat sie vor, ein ehrliches Geschäft mit uns zu machen, oder hängen wir hier herum und warten, bis ihre diebischen Hunde uns ausplündern?«
»Ich halte beides für unwahrscheinlich«, antwortete Drizzt. »Raune wäre nicht am Leben, wenn sie ihre Kunden an Diebe auslieferte. Und ich würde nie damit rechnen, daß sie ein ehrliches Geschäft mit uns abschließen will.«
Bruenor sah, daß Drizzt beim Sprechen einen seiner Krummsäbel gezogen hatte. »Keine Falle, häh?« fragte er noch einmal und zeigte auf die Waffe.
»Von ihren Leuten nicht«, erwiderte Drizzt. »Aber die Schatten verbergen auch noch viele andere Augen.«
Andere Augen als nur die von Wulfgar hatten sich auf den Halbling und die Frau gerichtet.
Für die robusten Gauner in Luskans Hafenviertel war es ein weitverbreiteter Zeitvertreib, Personen zu quälen, die körperlich schwächer und ihnen daher unterlegen waren, und Halblinge waren bei ihnen beliebte Angriffsziele. An diesem Abend beherrschte ein großer, stämmiger Mann mit buschigen Augenbrauen und Bartstoppeln, an denen der Schaum von seinem stets vollen Bierkrug hing, die Unterhaltung an der Theke. Er prahlte von unmöglichen Kraftproben und drohte jedem in seiner Nähe Prügel an, falls das Bier auch nur um einen Tropfen langsamer fließen sollte.
Alle Männer, die bei ihm an der Theke standen, Männer, die ihn kannten oder von ihm gehört hatten, nickten begeistert bei jedem seiner Worte und überschütteten ihn mit Komplimenten, um ihre eigenen Ängste vor ihm zu zerstreuen. Aber für seine Selbstbestätigung brauchte er weitere Kurzweil, ein neues Opfer zum Einschüchtern, und als sein Blick durch den Schankraum schweifte, fiel er natürlich auf Regis und seinen großen, aber offensichtlich sehr unerfahrenen Freund. Der Anblick eines Halblings, der der teuersten Dame im Lokal den Hof machte, war für den fetten Mann eine zu große Versuchung, als daß er sie übersehen konnte.
»Aber meine hübsche Dame«, sabbelte er und spie bei jedem seiner Worte Bier. »Glaubst du etwa, daß es mit diesem halben Mann etwas bringt?« Die Menge an der Theke, die eifrig darauf bedacht war, die Achtung des fetten Mannes nicht zu verlieren, brach in übertriebenes Gelächter aus.
Die Frau hatte mit dem Grobian schon früher ihre Erfahrungen gemacht und viele Männer schmerzerfüllt vor ihm umfallen sehen. Besorgt warf sie ihm einen Blick zu, konnte sich aber nicht von der Anziehungskraft des Rubinanhängers losreißen. Regis jedoch wandte unverzüglich seine Aufmerksamkeit von dem fetten Mann ab und dorthin, wo seiner Vermutung nach der Ärger wahrscheinlich beginnen würde auf der anderen Seite des Tisches, bei Wulfgar.
Seine Befürchtungen bewahrheiteten sich. Der stolze Barbar hielt sich krampfhaft am Tisch fest, so daß seine Knöchel weiß angelaufen waren, und der feurige Blick in seinen Augen sagte Regis, daß er gleich vor Wut platzen würde.
»Achte nicht auf diese dummen Sprüche!« redete Regis auf ihn ein. »Du darfst nicht eine Sekunde deiner Zeit auf sie verschwenden!«
Wulfgar entspannte sich kein bißchen, und sein finsterer Blick löste sich nicht von seinem Gegner. Die Beleidigungen des fetten Mannes, auch jene, die auf Regis und die Frau gemünzt waren, konnte er überhören. Aber er verstand, worauf diese Beleidigungen abzielten. Durch die Stichelei gegen einen
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