Die vergessenen Welten 07 - Das Vermächtnis
sonst bei mir sein mag.
Diese Gedanken sind nicht so düster, wie sie klingen mögen. Ich habe Wulfgar sicherlich tausendmal Lebwohl gesagt. Ich habe es ihm jedesmal gesagt, wenn ich ihn spüren ließ, wie teuer er mir war, jedesmal, wenn meine Worte oder Handlungen unsere Zuneigung bestätigten. Lebwohl wird von den Lebenden gesagt, an jedem Tag des Lebens. Es wird durch Liebe und Freundschaft gesagt, mit der Versicherung, daß die Erinnerungen überdauern werden, wo es das Fleisch nicht kann.
Wulfgar hat einen anderen Platz gefunden, ein anderes Leben - ich muß daran glauben, denn welchen Sinn hat die Existenz sonst?
Meine wirkliche Trauer gilt mir selber, dem Verlust, von dem ich weiß, daß ich ihn bis ans Ende meiner Tage fühlen werde, wie viele Jahrhunderte bis dahin auch vergehen mögen. Aber in diesem Verlust liegt eine Ruhe, eine göttliche Gelassenheit. Es ist besser, Wulfgar gekannt zu haben und mit ihm jene Geschehnisse erlebt zu haben, die nun meiner Trauer Nahrung geben, als niemals an seiner Seite gegangen zu sein, an seiner Seite gefochten zu haben, die Dinge durch seine kristallblauen Augen gesehen zu haben.
Und so hoffe ich, daß es Freunde geben wird, wenn ich sterben werde, die um mich trauern werden, die unsere geteilten Freuden und Schmerzen weitertragen werden, die mein Andenken bewahren werden.
Dies ist die Unsterblichkeit des Geistes, das alles überdauernde Vermächtnis, die Nahrung der Trauer.
Aber auch ebenso die Nahrung des Glaubens.
Drizzt Do'Urden
Ein Hinterhalt
Staub trieb noch immer durch die große Höhle und dämpfte das flackernde Licht; eine der Fackeln war durch einen herabfallenden Steinbrocken erstickt worden, und ihr Leuchten wurde ganz plötzlich ausgelöscht. Ausgelöscht wie das Licht in Wulfgars Augen. Als das Rumpeln schließlich aufhörte und die größeren Teile der eingestürzten Decke endlich zur Ruhe gekommen waren, drehte sich Catti-brie um und schaffte es, sich aufzusetzen. Sie sah die mit Geröll gefüllte Einbuchtung an, wischte sich den Staub aus den Augen und blinzelte mehrere lange Augenblicke durch die Dunkelheit, bevor ihr die grimmige Wahrheit dieses Anblicks wirklich bewußt wurde.
Der einzige Tentakel des Monsters, der noch zu sehen war, hatte immer noch die Knöchel der jungen Frau umschlungen. Er war sauber abgetrennt worden, und sein hinteres Ende, das nahe dem Gesteinshaufen lag, zuckte noch immer reflexartig.
Dahinter befand sich nur aufgetürmter Fels. Die Ungeheuerlichkeit der Situation überwältigte Catti-brie. Sie schwankte zur Seite, wäre fast ohnmächtig geworden und fand ihre Stärke erst wieder, als eine Woge von Zorn und Weigerung in ihr hochstieg. Ihr Herz weigerte sich, vollständig zu erkennen, was geschehen war. Sie riß ihre Füße von dem Tentakel los und krabbelte auf allen vieren nach vorne. Sie versuchte aufzustehen, aber ihr Kopf pochte und zwang sie dazu, in der Hocke zu bleiben. Eine neue Welle schwächender Übelkeit überkam sie und lockte sie, sich der Bewußtlosigkeit zu überlassen.
Wulfgar.
Catti-brie kroch weiter, schlug die zuckenden Tentakel beiseite und begann, mit bloßen Händen in dem Steinhaufen zu wühlen, wobei sie sich die Haut aufriß und Fingernägel schmerzhaft abbrach. Wie sehr dieser Einsturz jenem ähnelte, der Drizzt unter sich begraben hatte, als die Gefährten das erste Mal Mithril-Halle durchquert hatten! Aber damals war es eine Falle der Zwerge gewesen, eine ausgeklügelte Konstruktion, bei der gleichzeitig mit dem Einbruch der Decke auch ein Stück des Bodens nachgab, so daß Drizzt unversehrt in einen tiefer gelegenen Tunnel fiel.
Dies hier war keine Fallenkonstruktion, erinnerte sich Cattibrie selbst; hier gab es keine Rutsche in eine tiefer gelegene Höhle. Ein leises Stöhnen, ein Wimmern kam ihr über die Lippen, und sie grub weiter, verzweifelt darum bemüht, Wulfgar unter dem zermalmenden Steinhaufen hervorzubekommen, und sie betete, daß die Felsbrocken sich so verkantet hatten, daß der Barbar darunter hatte überleben können.
Dann war Bruenor an ihrer Seite, ließ Axt und Schild fallen und ging den Steinhaufen mit Besessenheit an. Es gelang ihm, einige große Steine zu bewegen, aber als der äußere Rand des Einsturzes abgetragen war, hörte er mit der Arbeit auf und starrte nur blicklos auf die Felsbrocken.
Catti-brie bemerkte den düsteren Blick ihres Vaters nicht und grub weiter. Nach mehr als zwei Jahrhunderten Arbeit im Tunnelbau war für Bruenor die Wahrheit
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