Die vergessenen Welten 09 - Brüder des Dunkels
den unebenen Boden, daß er nur um Haaresbreite vermeiden konnte, mit voller Wucht gegen einen Baum zu krachen. Catti-brie hielt stetig sein Tempo mit und blieb weiter an der Spitze.
Guenhwyvar brüllte erneut. Sie war noch immer auf dem Felsbrocken, und Catti-brie und Drizzt wußten genau, daß sie verspottet wurden.
Tatsächlich federte plötzlich ein schwarzer Blitz von einer Steinwand neben Drizzt ab und segelte in Kopfhöhe des Drow quer über den Pfad. Guenhwyvar sauste zwischen den beiden Freunden wieder zur anderen Seite des Weges und setzte so schnell und leise an Catti-brie vorbei, daß diese kaum bemerkte, daß sie nicht mehr in Führung war.
Ein wenig später ließ die Katze sie wieder die Führung übernehmen. Dann nahm Drizzt eine tückische Abkürzung und setzte sich an die Spitze – nur um sofort wieder von dem Panther überholt zu werden. So ging es immer weiter. Drizzt und Catti-brie wetteiferten aus vollen Kräften, während Guenhwyvar nur mit ihnen spielte.
Als sie schließlich eine Mittagspause einlegten, waren Drizzt und Catti-brie erschöpft, während Guenhwyvar nicht mal schwer atmete. Sie rasteten auf einer kleinen Lichtung, die von einer hohen Bergwand im Norden und Osten vor Wind geschützt war, während im Süden eine Klippe steil abfiel. Kleine Felsbrocken, die über die Lichtung verstreut waren, dienten den müden Läufern als Hocker. In der Mitte waren Steine zu einer Feuerstelle zusammengelegt, denn dies war eine Lagerstätte, die der wanderlustige Drow häufiger aufsuchte.
Catti-brie erholte sich, während Drizzt ein kleines Feuer entfachte. Weit unten konnte sie die grauen Rauchfäden aus den Häusern von Siedelstein träge in die klare Luft aufsteigen sehen. Es war ein ernüchternder Anblick, denn er erinnerte die junge Frau, die den Morgen so frohen Mutes verbracht hatte, an die Ernsthaftigkeit ihrer Mission und der allgemeinen Lage. Wie viele Wettläufe würden sie, Drizzt und Guenhwyvar wohl noch veranstalten können, wenn die Dunkelelfen kamen?
Die Rauchfäden erinnerten Catti-brie auch an den Mann, der die harten Barbaren aus dem Eiswindtal hierhergebracht hatte, an den Mann, der ihr Ehemann hätte werden sollen. Wulfgar war bei dem Versuch gestorben, sie zu retten, war in der Umklammerung einer Yochlol, einer Dienerin der üblen Lloth, umgekommen. Sowohl Catti-brie als auch Drizzt mußten einen Teil der Verantwortung für diesen Verlust tragen, obgleich es nicht Schuld war, die die junge Frau jetzt peinigte, wie sie auch Drizzt quälte. Auch der Drow hatte den Rauch bemerkt und das Schüren des Feuers einen Moment lang unterbrochen, um nachzudenken.
Die Freunde lächelten jetzt nicht mehr, sondern spürten ihre Trauer. Viele solcher Wettläufe hatten sie schon unternommen, doch war Wulfgar dabei stets an ihrer Seite mitgerannt und hatte mit langen Schritten den Umstand ausgeglichen, daß er sich durch einige Engpässe nicht durchquetschen konnte, die seine schlankeren Gefährten mit vollem Tempo durchquert hatten.
»Ich wünschte...«, sagte Catti-brie, und die Worte hallten in den Ohren des Dunkelelfen wider, der den gleichen Wunsch verspürte.
»Unser Krieg, wenn er denn kommen sollte, würde besser verlaufen, wenn Wulfgar, Beorngars Sohn, die Männer von Siedelstein anführen könnte«, stimmte Drizzt zu, und sowohl er als auch Catti-brie dachten in ihrem Inneren, daß ihrer aller Leben besser verlaufen würde, wenn Wulfgar noch bei ihnen wäre.
Das war es. Drizzt hatte es offen ausgesprochen, und jetzt gab es nichts mehr zu sagen. Sie aßen ihr Mahl schweigend. Selbst Guenhwyvar lag ruhig da und gab keinen Laut von sich.
Catti-bries Gedanken trieben von ihren Freunden fort und zurück zum Eiswindtal, zu dem felsigen Berg namens Kelvins Steinhügel, der sich aus der ansonsten flachen Tundra erhob. Es ähnelte so sehr diesem Ort hier. Dort war es vielleicht kälter, aber die Luft hatte die gleiche Frische, die gleiche klare, lebendige Dichte. Wie weit sie und ihre Freunde, Drizzt, Guenhwyvar, Bruenor und Regis und natürlich Wulfgar, seit damals gekommen waren! Und in so kurzer Zeit! Ein wahrer Wirbelwind an Abenteuern, ein ganzes Leben an Aufregung und Spannung und guten Taten. Zusammen waren sie eine unschlagbare Macht.
Das hatten sie jedenfalls geglaubt.
Catti-brie hatte in der Tat die Gefühle eines ganzen Lebens durchgemacht, und sie war erst knapp zwanzig Jahre alt. Sie war schnell durch das Leben gerannt, genau wie bei ihrem Lauf den Bergpfad hinab:
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