Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
meine ganze Familie heilst.«
Ihr Dank erfüllte sein Herz und sein Gesicht mit Freude. Als sie versuchte, ihn erneut auf die Wange zu küssen, drehte er sich so, dass seine Lippen auf die ihren trafen. Sie erwiderte seine Liebkosung zehnfach und war sicher, dass ihr Leben mit diesem freundlichen und wunderbaren Mann mehr als nur erträglich sein würde. Viel mehr. Als sie diese Szene auf der Heimfahrt noch einmal vor ihrem geistigen Auge ablaufen ließ, sank ihre Stimmung beträchtlich, als ihre Gedanken sich wieder auf das Baby und die Lüge richteten, die sie für den Rest ihres Lebens würde erzählen müssen. Um wie viel schrecklicher ihr Handeln ihr jetzt erschien! Meralda glaubte, dass sie sich einzig eines schlechten Urteilsvermögens schuldig gemacht hatte, aber die Wirklichkeit würde viel mehr daraus machen. Ihr irregeleitetes Verlangen nach einer Nacht der Liebe würde hierdurch den Status von Verrat erhalten.
Und so kam es, dass Meralda von einer Mischung aus Furcht, Hoffnung und Freude erfüllt war, als sie früh am nächsten Morgen in den Garten hinaustrat, wo jeder Adlige von Auckney sowie wichtige Zeugen, darunter ihre eigene Familie, Lord Feringals Schwester und Verwalter Temigast standen und ihr lächelnd entgegenblickten. Da war Liam Holztor, der seine beste Livree trug, die Tür aufhielt und von Ohr zu Ohr strahlte, und auf der entgegengesetzten Seite des Gartens stand der Hohe Observator Kalorc Risten, ein hochrangiger Priester von Helm, dem erwählten Gott Feringals, in seiner glänzenden Rüstung mit dem offenen, federgeschmückten Helm. Was für ein Tag, und was für eine Kulisse für ein solches Ereignis! Priscilla hatte die Sommerblumen durch Chrysanthemen und Ringelblumen ersetzt, und da diese Herbstgewächse nicht so strahlten wie ihre Vorgänger, hatte sie ihre Farben durch leuchtend bunte Banner unterstützt. Es hatte vor Sonnenaufgang geregnet, aber die Wolken waren davongetrieben und hatten einen Duft von Sauberkeit in der Luft zurückgelassen. Kleine Pfützen auf der niedrigen Mauer und Tropfen auf den Blättern spiegelten das morgendliche Sonnenlicht funkelnd wider. Selbst der Wind, der vom Meer her blies, roch an diesem Tag sauber.
Meraldas Stimmung wurde besser. So kurz davor, verheiratet zu werden, konnte sie nicht mehr verletzlich sein. Sie hatte vor nichts anderem Angst als davor, über die eigenen Füße zu stolpern, als sie zu dem Zeremonientisch hinüberging, einem kleinen Podium, auf dem ein Panzerhandschuh lag und von dem eine Decke herabhing, auf der ein blaues Auge aufgestickt war. Dieses Selbstvertrauen erhielt noch einen weiteren Schub, als sie in das strahlende Gesicht ihrer Mutter blickte, denn Kalorc Ristens junger Assistent hatte an der Frau in der Tat ein Wunder vollbracht. Meralda hatte gefürchtet, ihrer Mutter würde es nicht gut genug gehen, um an der Zeremonie teilzunehmen, aber jetzt leuchtete ihr Gesicht, und ihre Augen strahlten, wie sie es seit Jahren nicht mehr getan hatten.
Die junge Frau strahlte selbst und hatte alle Ängste über ihr Geheimnis beiseite gedrängt, als sie jetzt ihren Weg zu dem Podium begann. Sie stolperte nicht. Ganz im Gegenteil. Die Zuschauer glaubten, Meralda würde den Gartenpfad entlangschweben – die perfekte Braut. Und wenn sie um die Mitte herum ein wenig dicker war, so hielten sie alle dies für ein Zeichen, dass die junge Frau zumindest gut aß.
Neben dem Priester angekommen, drehte sich Meralda um und wartete auf Lord Feringals Erscheinen. Er trat heraus und trug seine Uniform des Kommandeurs der Wache von Burg Auck: einen glänzenden Kettenpanzer, der von Brokat bedeckt war, einen gefiederten Helm und ein großes Schwert, das an seiner Hüfte hing.
Viele in der Menge holten hörbar Luft, Frauen kicherten, und Meralda dachte erneut, dass ihre Verbindung mit diesem Mann ganz und gar keine schlechte Sache war. Wie gut aussehend Feringal ihr vorkam, umso mehr, da sie um sein sanftes Wesen wusste. Seine schneidiges Soldatenkostüm war nicht viel mehr als ein Prunkgewand, aber er gab darin eine großartige und eindrucksvolle Figur ab.
Die Vögel sangen um sie herum, die Blumen waren spektakulär, das Paar schön und glücklich – es war die Hochzeit, die sich jede Frau in Auckney wünschte. Alle, die nicht an der Zeremonie teilnahmen, waren eingeladen, das Paar anschließend vor dem Tor der Burg zu begrüßen. Sie alle freuten sich für das Hochzeitspaar. Bis auf eine Person. »Meralda!«
Der Schrei durchschnitt die
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