Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
Zeitpunkt?«
Der Kapitän trat vor und ignorierte das Murren und die Proteste und sogar Drohungen aus der Menge. Inmitten des blutrünstigen Mobs richtete er sich gerade auf. »Die Beweise gegen Grauser Raffer und den tätowierten Piraten waren stichhaltig«, erklärte er. »Aber auch Moriks Behauptung, dass er und Wulfgar in eine Falle gelockt wurden, um als Sündenböcke für die anderen beiden zu dienen, ist plausibel.«
»Aber«, argumentierte Jharkheld und hob einen Finger in die Luft, »auch die Geschichte von Grauser Raffer ist plausibel, in der er von einer Verschwörung berichtet, derer sie sich alle schuldig gemacht haben.«
Die Menge, die verwirrt war, aber befürchtete, dass ihr Spaß ein vorzeitiges Ende finden könnte, schien Jharkhelds Erklärung besser zu gefallen.
»Und auch Josi Puddles Aussage ist plausibel, in der er Morik den Finsteren und Wulfgar zusätzlich belastet«, fuhr Jharkheld fort. »Darf ich dich daran erinnern, dass der Barbar die Beschuldigungen von Grauser Raffer nicht einmal abgestritten hat, Kapitän Deudermont?«
Deudermont blickte jetzt zu Wulfgar, der noch immer diese ausdruckslose Haltung einnahm, die einen zur Weißglut treiben konnte.
»Kapitän Deudermont, erklärst du diesen Mann für unschuldig?«, fragte Jharkheld, deutete auf Wulfgar und sprach langsam und laut genug, dass alle ihn hören konnten.
»Dieses Recht besitze ich nicht«, erwiderte der Seemann über die Protestschreie der Menschenmenge hinweg. »Ich kann keine Schuld oder Unschuld festlegen, sondern ich kann nur das tun, was du in Händen hältst.«
Magistrat Jharkheld starrte wieder auf die rasch gekritzelte Notiz in seinen Händen und hielt sie dann der Menge hin. »Eine Begnadigung für Wulfgar«, verkündete er.
Der Mob verstummte für einen Augenblick, um dann in lautes Schreien und Fluchen auszubrechen. Sowohl Deudermont als auch Jharkheld befürchteten, dass ein Aufstand losbrechen würde. »Das ist Torheit«, zischte Jharkheld.
»Ich bin ein Gast, der deinen eigenen Worten nach in dieser Stadt hoch angesehen ist, Magistrat Jharkheld«, erwiderte Deudermont ruhig. »Bei diesem Ansehen bitte ich die Stadt, Wulfgar zu begnadigen, und bei diesem Ansehen erwarte ich, dass du meinem Ersuchen Folge leistest oder dich deinen Vorgesetzten gegenüber verantwortest.«
Da war es, eindeutig und kompromisslos ausgesprochen, ohne Jharkheld Raum für Ausflüchte zu gewähren. Der Magistrat hatte keine Wahlmöglichkeit, wie sowohl er als auch Deudermont wussten, denn der Kapitän hatte tatsächlich das Recht, eine Begnadigung auszusprechen. Solche Gnadenbriefe waren nicht ungewöhnlich und kosteten die Familien der Angeklagten normalerweise viel Geld, aber sie waren nie zuvor auf eine solch dramatische Weise überreicht worden – nicht während des Sträflingskarnevals und im Augenblick von Jharkhelds größtem Triumph!
»Tötet Wulfgar!«, schrie jemand aus der Menge, und andere stimmten in die Forderung ein, während Jharkheld und Deudermont in diesem kritischen Moment auf Wulfgar schauten.
Der Ausdruck auf ihren Gesichtern bedeutete dem Mann nichts, der noch immer glaubte, dass der Tod eine Erleichterung und vielleicht die beste Möglichkeit war, seinen schrecklichen Erinnerungen zu entkommen. Als Wulfgar zu Morik schaute, der mit blutigem Bauch und bis an den Rand der Erträglichkeit gestreckt auf der Folterbank lag, während die Wachen eine neue Ratte herbeibrachten, erkannte er, dass dies keine Möglichkeit für ihn darstellte. Nicht, wenn die Loyalität des Ganoven ihm gegenüber irgendetwas zu bedeuten hatte. »Ich hatte mit dem Attentat nichts zu tun«, verkündete Wulfgar tonlos. »Glaubt mir, oder tötet mich. Mir ist es gleich.«
»Da hörst du es, Magistrat Jharkheld«, sagte Deudermont. »Lass ihn bitte frei. Akzeptiere meine Begnadigung, wie es meinem Status als angesehenem Gast in Luskan zusteht.«
Jharkheld hielt Deudermonts Blick eine lange Zeit stand. Dem alten Mann gefiel dies ganz offenkundig überhaupt nicht, aber er nickte den Wachen zu, und Wulfgar wurde von ihnen sofort freigegeben. Zögerlich, und nur nach einer weiteren Ermahnung durch Jharkheld, brachte einer der Männer den Schlüssel für die Fußketten des Barbaren herbei und löste die Eisenschellen von seinen Gelenken. »Bringt ihn hier weg«, befahl ein wütender Jharkheld, doch der riesige Mann widersetzte sich den Versuchen der Wachen, ihn von der Bühne zu führen. »Morik ist unschuldig«, verkündete der Barbar.
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