Die vergessliche Mörderin
heißt’s ja dann immer.«
»Eine junge Frau?«
»Ach was, ’ne alte Schachtel. Mindestens fünfzig.«
Zwei Männer hievten eine Kommode in den Möbelwagen. Sie entglitt ihnen, und zwei Mahagonischubladen schlugen krachend auf die Erde. Ein Blatt Papier flatterte Mrs Oliver entgegen. Sie fing es auf.
»Immer fest druff, Charlie!«, rief der fröhliche Milchmann und verschwand mitsamt seinen Flaschen hinter der Lifttür.
Die Möbelpacker stritten sich. Mrs Oliver hielt ihnen das Papier hin, aber sie winkten unwillig ab. Mrs Oliver, die zu einem Entschluss gekommen war, betrat das Gebäude und fuhr zum Appartement Nr. 67. Durch die Tür hörte sie etwas klirren, und gleich darauf öffnete ihr eine Frau in mittleren Jahren, die einen Mopp in der Hand hielt und offensichtlich beim Putzen war.
»Guten Morgen. Ist – ist eine von den jungen Damen da?«
»Nein. Madam. Leider. Sie sind alle fort.«
»Ja, natürlich… Ich habe bei meinem letzten Besuch meinen Taschenkalender hier vergessen. Er muss irgendwo im Wohnzimmer sein…«
»Bis jetzt habe ich keinen Kalender gefunden, Madam. Ich glaube wenigstens nicht. Woll’n Sie nicht lieber selbst nachsehen?« Sie öffnete die Tür weit, stellte den Mopp fort und begleitete Mrs Oliver ins Wohnzimmer.
»Ach, da ist ja das Buch, das ich für Miss Restarick abgegeben habe, für Miss Norma. Ist sie wieder vom Land zurück?«
»Ich glaube, im Moment ist sie nicht da. Ihr Bett war nicht benützt. Wird wohl noch bei ihren Eltern sein. Ich weiß, dass sie zum Wochenende rausgefahren ist.«
»Ja, das kann schon sein«, sagte Mrs Oliver. »Das Buch da hatte ich ihr gebracht. Es ist eins von meinen.«
Mrs Olivers Bücher riefen bei der Putzfrau keinerlei Reaktionen hervor.
»Da habe ich gesessen.« Mrs Oliver klopfte auf einen Sessel. »Ich glaube es wenigstens. Danach war ich am Fenster. Und dann wohl auf dem Sofa.« Sie fasste eifrig unter die Kissen des Sessels. Die Putzfrau widmete sich bereitwillig den Sofakissen.
»Eine glatte Katastrophe, wenn man so was verliert«, sagte Mrs Oliver redselig. »Alle meine Verabredungen stehen drin. Ich weiß genau, dass ich heute jemand zum Lunch treffen soll, der für mich sehr wichtig ist. Aber ich komme einfach nicht drauf, wer es ist und wo wir uns verabredet haben!«
»Ja, so was ist schrecklich, Ma’am«, meinte die Putzfrau mitfühlend.
Mrs Oliver warf einen Blick in die Runde. »Hübsche Wohnungen sind das.«
»Bisschen hoch, finde ich.«
»Na, dafür hat man die schöne Aussicht.«
»Für mich geht nichts über ’ne Parterrewohnung. Wenn man Kinder hat, ist das viel praktischer. Und dann die hohen Mieten, die sie hier verlangen. Deswegen muss Miss Holland ja auch die zwei anderen Mädchen in die Wohnung nehmen.«
»Ja, die kenne ich auch beide. Miss Cary ist Künstlerin, nicht wahr?«
»Sie arbeitet in ’ner Gemäldegalerie. Arbeit nennt sich so was! Sie malt selbst – Kühe und Bäume, bloß, dass man die nicht erkennen kann. Die ist vielleicht unordentlich! Wie das Zimmer aussieht! Aber bei Miss Holland – bei der ist immer alles piccobello. Früher war sie Sekretärin bei der Kohlenbehörde, jetzt ist sie Privatsekretärin bei ’ner Firma in der City, bei ’nem schwerreichen Herrn, der gerade aus Südamerika oder so gekommen ist. Er ist der Vater von Miss Norma, und als die andere junge Dame geheiratet hat, hat er gefragt, ob Miss Holland sie nicht nehmen könnte. Na, da konnte sie ja nicht gut ablehnen, was? Wo er doch ihr Chef ist.«
»Hätte sie denn gern abgelehnt?«
Die Frau schnaufte verächtlich. »Bestimmt, wenn sie das vorher gewusst hätte.«
»Was denn gewusst hätte?« Die Frage war zu direkt gewesen.
»Oh, da möchte ich lieber nichts gesagt haben, Ma’am. Mich geht’s ja nichts an.«
Mrs Oliver sah sie so sanft und fragend an, dass die Frau schließlich die Segel strich.
»Ach, nett ist sie schon, nur eben so konfus. Konfus sind die Mädchen heute ja alle, aber die müsste mal zum Arzt. Manchmal weiß sie nicht, wo sie ist oder was sie tut, so schlimm ist das mit ihr… Dann sieht sie genau wie der Neffe von meinem Mann aus, wenn der ’nen Anfall hat. Und bei dem ist es oft schrecklich! Aber bei ihr sind das keine Anfälle. Vielleicht schluckt sie Pillen. Das tun ja viele heute.«
»Soviel ich weiß, hat sie einen Freund, den ihre Eltern nicht mögen.«
»Ja, das habe ich auch gehört. Er war sogar ein oder zweimal hier – aber ich habe ihn nie gesehen Miss Holland ist sehr
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