Die vergessliche Mörderin
allenfalls vermuten, dass sie auf jemand geschossen, ihn aber verfehlt hat. Ein paar Tropfen Blut… das war alles. Keine Leiche, kein Verletzter…«
»Das ist alles so verworren«, seufzte Mrs Oliver. »Oder würden Sie etwa glauben, einen Mord begangen zu haben, wenn der Betreffende noch aus dem Hof rennen kann?«
»C’est difficile.« Damit beendete Poirot das Gespräch.
»Ich mache mir Sorgen«, sagte Claudia Reece-Holland und schenkte sich eine zweite Tasse Kaffee ein. Frances Cary gähnte. Die beiden Mädchen frühstückten in der kleinen Küche der gemeinsamen Wohnung. Claudia war schon fürs Büro angezogen, Frances saß im Schlafanzug und Morgenrock am Tisch. Das schwarze lange Haar fiel ihr ins Gesicht.
»Ich mache mir Sorgen um Norma«, fuhr Claudia fort.
Wieder gähnte Frances. »An deiner Stelle würde ich das bleiben lassen. Ich bin sicher, dass sie früher oder später anruft oder hier aufkreuzt.«
»Glaubst du? Weißt du, Fran, ich denke immer…«
»Warum machst du dir so viele Gedanken?« Frances goss sich Kaffee ein. Sie nippte daran. »Ich meine – na, was geht uns Norma eigentlich an? Wir sind doch weder als Leibwächter noch als Kindermädchen engagiert. Sie wohnt bei uns – weiter gar nichts. Bist du ihre Mutter? Ich würde mich nicht aufregen.«
»Nein, du bestimmt nicht. Du regst dich nie über was auf. Aber für mich sieht die Sache anders aus.«
»Wieso? Meinst du, weil du die Wohnungsinhaberin bist?«
»Nein. Trotzdem könnte man meine Lage prekär nennen.«
Frances gähnte schon wieder gewaltig. »Ich war gestern zu lange auf«, sagte sie. »Basils Party ist mir nicht bekommen. Hoffentlich hilft der schwarze Kaffee. Willst du noch welchen, ehe ich die Kanne leer habe? Basil hat uns seine neuen Pillen aufgedrängt. Smaragdträume! Ich weiß nicht, warum man immer wieder auf denselben Blödsinn reinfällt.«
»Du kommst zu spät in deine Galerie, Frances.«
»Na, wenn schon. Da kümmert sich doch keiner drum. Übrigens habe ich gestern David getroffen. Er war toll angezogen und sah fantastisch aus.«
»Jetzt fang du nicht auch noch mit diesem David an, Fran! Er ist ein Schauerstück.«
»Ich weiß, dass du das findest. Du bist so altmodisch, Claudia.«
»Keineswegs. Aber deine Künstlertypen liegen mir eben nicht. Ihr mit euren ewigen Tabletten und euren Rauschzuständen, in denen es doch nur zu Schlägereien kommt!«
Frances grinste. »Ich bin nicht rauschgiftsüchtig, Claudia, nur neugierig. Und ein paar von den Leuten taugen was. Wenn David will, ist er ein guter Maler…«
»Er will aber nicht sehr oft, wie?«
»Du hast immer was an ihm rumzumäkeln, Claudia… Wenn er Norma besucht, stellst du dich auch so an. Dabei fällt mir die Sache mit dem Messer ein…«
»Mit was für einem Messer?«
»Ich hab dauernd überlegt«, sagte Frances langsam, »ob ich’s dir erzählen soll oder nicht.«
Claudia sah nervös auf die Uhr. »Ich habe keine Zeit mehr. Erzähl’s mir heute Abend, wenn es wirklich wichtig ist. Jetzt bin ich auch nicht in der Stimmung… Wenn ich nur wüsste, was ich tun soll.«
»Immer noch wegen Norma?«
»Ja. Müssten wir nicht ihren Eltern Bescheid sagen, dass sie…«
»Hältst du das für anständig? Arme Norma, warum soll sie nicht mal für ein paar Tage verschwinden, wenn sie Lust dazu hat?«
»Aber Norma ist doch nicht ganz…« Claudia stockte.
»Allerdings… sie ist nicht ganz zurechnungsfähig. Das hast du doch gemeint, oder? Hast du in dem schrecklichen Laden angerufen, in dem sie arbeitet! Natürlich – klar, jetzt erinnere ich mich.«
»Wo ist sie nun?«, fragte Claudia. »Hat David was gesagt?«
»Der weiß es offenbar auch nicht. Aber ich verstehe wirklich nicht, Claudia, warum du das so tragisch nimmst.«
»Ich nehme es tragisch, weil ihr Vater zufällig mein Chef ist«, sagte Claudia. »Wenn ihr nämlich irgendwas passiert ist, werden sie mich früher oder später fragen, warum ich nicht Laut gegeben habe, als sie am Montag nicht zurückkam.«
»Ja, das ist möglich. Aber ich seh nicht ein, warum Norma uns Bescheid sagen sollte, wenn sie mal für ein paar Tage fortfährt. Wir haben schließlich kein Hotel. Und du bist nicht für sie verantwortlich.«
»Nein, aber Mr Restarick hat ausdrücklich erklärt, was für eine Beruhigung es für ihn ist, dass sie hier bei uns wohnt.«
»Und das veranlasst dich, jedes Mal ein großes Tamtam zu machen, wenn sie mal unentschuldigt abhaut? Vielleicht steckt ein neuer Mann
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