Die vergessliche Mörderin
bestimmt nicht wild aufs Heiraten und all diesen Quatsch… Ich… das habe ich nie gewollt – oder erst viel später. Ich wollte mich nicht binden – aber jetzt meine ich doch, es wär das gescheiteste, was wir tun können. Wir sollten heiraten. Auf dem Standesamt. Du musst behaupten, du wärst einundzwanzig. Vielleicht kannst du dir die Haare hochstecken und ’ne Brille aufsetzen, damit du älter aussiehst. Sobald wir verheiratet sind, ist dein Vater machtlos und kann dich nicht mehr in irgendeine Anstalt oder so was schicken.«
»Ich hasse ihn.«
»Du scheinst alle Menschen zu hassen, Norma.«
»Nur meinen Vater und Mary.«
»Was ist denn schon dabei, wenn ein Mann sich wiederverheiratet? Das ist doch ganz natürlich.«
»Und was hat er meiner Mutter angetan?«
»Aber das muss doch Ewigkeiten her sein!«
»Ja, ich war noch ein Kind, aber ich erinnere mich genau. Er ist fortgegangen und hat uns allein gelassen. Weihnachten hat er mir Geschenke geschickt – aber gekommen ist er nie. Ich hätte ihn nicht wieder erkannt, wenn er mir nach seiner Rückkehr auf der Straße begegnet wäre. Da war er ein wildfremder Mann für mich. Ich glaube, meine Mutter hat er auch ins Irrenhaus sperren lassen. Sobald sie krank war, verschwand sie plötzlich. Wohin weiß ich nicht. Keine Ahnung, was ihr gefehlt hat. Manchmal habe ich Angst, David… Ich glaube, dass mit mir was nicht stimmt, und eines Tages wird was Schreckliches passieren. Wie die Sache mit dem Messer.«
»Mit welchem Messer?«
»Ach, ist ja egal. Ein Messer eben.«
»Wie wär’s, wenn du mir sagst, worüber du eigentlich redest?«
»Ich glaube, es war Blut dran… und es war unter meinen Strümpfen versteckt…«
»Erinnerst du dich, es da versteckt zu haben?«
»Vielleicht. Aber ich weiß nicht, was ich vorher damit gemacht habe. Ich war – von dem Abend fehlt mir eine Stunde, eine ganze Stunde, und ich weiß nicht, wo ich gewesen bin. Ich bin irgendwo gewesen und habe was getan.«
»Pst!«, zischte er. Die Kellnerin kam zu ihrem Tisch.
»Es kann dir nichts passieren. Ich werde auf dich aufpassen. Wir wollen noch was bestellen«, sagte er laut zu der Kellnerin und griff nach der Speisekarte. »Zweimal Toast mit gebackenen Bohnen.«
8
H ercule Poirot war gerade beim Diktat, als das Telefon klingelte. Miss Lemon griff nach dem Hörer. »Ja? Wer spricht bitte?« Sie deckte die Hand über die Muschel. »Mrs Oliver.«
Etwas ungehalten über die Störung, meldete sich Poirot.
»Hallo, Monsieur Poirot, bin ich froh, dass ich Sie erreicht habe! Ich habe sie gefunden!«
»Wie bitte?«
»Ich habe das Mädchen gefunden. Ihre Besucherin, die glaubt, jemand ermordet zu haben, Sie wissen schon. Und sie redet auch fortgesetzt davon. Für mich hat sie den Verstand verloren. Aber das ist jetzt egal. Kommen Sie schnell und holen Sie sie!«
»Wo sind Sie, chère Madame?«
»Zwischen St. Paul’s und dem Mermaid-Theater, in der Calthorpe Street«, sagte Mrs Oliver und streckte plötzlich den Kopf aus der Telefonzelle, in der sie stand. »Können Sie sofort kommen? Die beiden sind in einem Restaurant.«
»Die beiden?«
»Ja, sie und ihr Freund. Ich glaube wenigstens, dass er es ist. Dabei ist er recht nett und scheint sie gern zu haben. Unbegreiflich! Na ja, Menschen sind komisch. Aber ich will jetzt wieder zurück. Ich habe sie nämlich verfolgt und dann in dem Café gefunden.«
»Ach? Wie tüchtig von Ihnen, Madame!«
»Nein, ganz so war es nicht. Ich bin zufällig in das Café gegangen, und da saß das Mädchen.«
»Also hatten Sie Glück – das ist ebenso wichtig.«
»Ich habe am Nebentisch gesessen, und sie kehrt mir den Rücken zu. Aber sie könnte mich sowieso nicht erkennen. Ich habe nämlich meine Frisur geändert. Jedenfalls reden sie so, als wären sie allein auf der Welt. Als sie noch was bestellt haben…«
»… sind Sie aus dem Café gelaufen, um zu telefonieren?«
»Ja. Jetzt muss ich zurück. Oder ich könnte auch draußen warten. Kommen Sie bitte so schnell wie möglich!«
»Wie heißt das Café?«
»The Merry Shamrock. Ein ziemlich mieser Laden, aber der Kaffee ist gut.«
»Wir machen lieber Schluss, Madame. Gehen Sie zurück. Ich werde mich beeilen.«
»Ausgezeichnet«, sagte Mrs Oliver und legte auf.
Die tüchtige Miss Lemon wartete auf der Straße neben einem Taxi. Es dauerte eine Weile, bis Poirot erschien, aber sie fragte nicht, was ihn aufgehalten hatte. Ein Blick in sein Gesicht belehrte sie, dass er in der
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