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Die vergessliche Mörderin

Die vergessliche Mörderin

Titel: Die vergessliche Mörderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Zwischenzeit nicht untätig und offenbar erfolgreich gewesen war.
    Ecke Calthorpe Street stieg Poirot aus, zahlte und blickte sich suchend um. Er entdeckte zwar das Café, aber niemand, der einer noch so gut getarnten Mrs Oliver auch nur entfernt ähnlich sah. Er ging von einem Ende der Straße zum anderen: keine Mrs Oliver. Dann hatten die beiden also entweder das Café verlassen, und Mrs Oliver hatte die Verfolgung fortgesetzt, oder… Um das Oder zu klären, betrat er das Café.
    Sofort fiel sein Blick auf das Mädchen, das ihn beim Frühstück heimgesucht hatte. Sie saß allein an einem Tisch an der Wand. Sie rauchte eine Zigarette und starrte, in Gedanken versunken, vor sich hin. Nein, überlegte Poirot, von Gedanken kann nicht die Rede sein. Sie ist geistesabwesend; sie ist gar nicht da.
    Er ging leise durch den Raum und setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber. Jetzt sah sie auf, und er hatte wenigstens die Genugtuung, dass sie ihn erkannte.
    »So trifft man sich wieder, Mademoiselle«, sagte er liebenswürdig. »Und Sie erkennen mich, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Und woran, wenn ich fragen darf?«
    »An Ihrem Schnurrbart«, antwortete Norma prompt.
    Poirot war sichtlich geschmeichelt. »Ja, Miss Restarick, Miss Norma Restarick, mein Schnurrbart ist in der Tat einmalig.«
    »Woher… woher wissen Sie meinen Namen? Wer hat Ihnen gesagt, wie ich heiße?«
    »Oh, ein Freund. Manchmal sind Freunde sehr nützlich.«
    »Wer war es?«
    »Mademoiselle, Sie vertrauen mir Ihre Geheimnisse nicht an, und ich möchte Ihnen die meinen vorenthalten.«
    »Es ist mir ein Rätsel, wie Sie das herausbekommen haben!«
    »Ich bin Hercule Poirot«, sagte er großartig. Dann überließ er ihr die Initiative. Er schwieg und lächelte freundlich.
    »Ich… ich… würde gern…« Sie verstummte.
    »Neulich sind wir nicht sehr weit gekommen«, sagte Hercule Poirot. »Sie haben mir lediglich erzählt, Sie hätten einen Mord begangen.«
    »Ach, das!«
    »Ja, Mademoiselle, das.«
    »Aber – so habe ich das natürlich nicht gemeint. Das war… das war doch nur ein Scherz.«
    »Wirklich? Sie haben mich sehr früh am Morgen aufgesucht und erklärt, es sei dringend, Sie müssten mich unbedingt sprechen, weil Sie einen Mord begangen haben könnten. Und das soll ein Scherz gewesen sein?«
    Eine Kellnerin, die in der Nähe herumgeirrt war und Poirot nicht aus den Augen gelassen hatte, kam plötzlich an den Tisch und gab ihm etwas, das wie ein Papierschiffchen aussah.
    »Kann das für Sie sein? Mr Poirot? Eine Dame hat es mir gegeben.«
    »Ja, das ist für mich. Vielen Dank.« Poirot entfaltete das Schiffchen und strich das Papier glatt. Sie hatte mit Bleistift hastig gekritzelt: »Er geht. Sie bleibt noch. Ich überlasse sie Ihnen und folge ihm.« Die Unterschrift lautete: Ariadne.
    »Hm«, sagte Poirot, faltete das Blatt zusammen und steckte es in die Tasche. »Wovon haben wir eben gesprochen? Ach ja, über Ihre Auffassung von Humor, Miss Restarick.«
    »Kennen Sie nur meinen Namen – oder wissen Sie mehr über mich?«
    »Ein paar Tatsachen, weiter nichts. Sie sind Norma Restarick, Ihre Londoner Adresse ist Borodene Mansions, Appartement Nummer 67. Ihre Familie wohnt in Long Basing, das heißt Ihr Vater, Ihre Stiefmutter, ein Großonkel und – ja – eine kleine Ausländerin. Sie sehen, ich weiß recht gut Bescheid.«
    »Sie haben mich beobachten lassen.«
    »Aber nein«, wehrte Poirot ab. »Keine Rede davon. Ehrenwort.«
    »Und Sie sind nicht von der Polizei?«
    »Nein, ich bin nicht von der Polizei.«
    Plötzlich gab sie nach. »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte sie.
    »Ich möchte mich Ihnen nicht aufdrängen. Sie haben ja bereits festgestellt, dass ich zu alt sei. Vielleicht haben Sie Recht. Aber da ich Sie nun kenne und einiges über Sie weiß, sehe ich nicht ein, warum wir uns nicht über Ihre Sorgen in aller Freundschaft unterhalten sollten. Alte Leute mögen nicht mehr so aktiv sein, aber immerhin verfügen sie über Erfahrungen.«
    Norma starrte ihn aus großen Augen unverwandt an. Offenbar war sie am Ende ihrer Kräfte und musste sich einem Menschen anvertrauen.
    »Alle halten mich für verrückt«, sagte sie unvermittelt. »Und ich – ich glaub’s auch. Ich bin verrückt.«
    »Das ist interessant«, sagte Poirot munter. »Dafür gibt es viele verschiedene Bezeichnungen. Psychiater und Psychologen gebrauchen sie gern. Aber das, was Sie ›verrückt‹ nennen, ist klar und allgemein verständlich. Also gut: Sie sind

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