Die Verlockung des Glücks (German Edition)
wollte. Das war alles nicht immer ganz einfach für mich. Ich musste früh viel Verantwortung übernehmen. Verantwortung für mich, meinen Bruder, meine Mutter. Das war alles immer selbstverständlich. Ich bin verantwortungsvoll gewesen, vernünftig und weniger wie ein Kind. In der Schule habe ich immer eher zu Außenseitern gehört. Und selbst da gehörte ich nicht wirklich dazu.
Es war nicht so, als wären die anderen gemein zu mir gewesen oder so etwas, es war eher ein bisschen so, als würde ich gar nicht existieren.
Als ich sechzehn war, habe ich Tim kennengelernt. Er war schon zwanzig und ich war total verliebt in ihn. Er hatte ein Auto, coole Freunde, war ständig auf Partys eingeladen. Ich war total verknallt in ihn. Mit all der blinden Hingabe, zu der man nur als Teenager fähig ist.
Ein paar Monate ging es gut. Er war von Anfang an sehr bestimmend, hat sich in alles eingemischt, hat darüber bestimmt, was ich anziehe, wie ich meine Haare trage, mit welchen meiner Freundinnen ich mich treffe …“
Ich mache einen Moment Pause und schaue aus dem Fenster, schaue auf die anderen Autos und auf die Landschaft, die an uns vorbei zu fliegen scheint. Ich weiß immer noch nicht richtig, warum ich ihm das alles erzähle. Aber jetzt habe ich einmal damit angefangen, jetzt kann ich auch weiter machen.
„Im Nachhinein betrachtet hat er auf eine Art und Weise über mich bestimmt, die nie haltbar gewesen ist. Aber ich war verliebt und jung und ich habe es genossen, mal nicht verantwortlich zu sein, nicht selbst über mich bestimmen zu müssen , wenn du so willst. Ich musste endlich einfach mal keine Verantwortung tragen. Und es gab ja auch niemanden, mit dem ich wirklich hätte darüber reden können, meine Mutter hatte genug eigene Sorgen und Lukas war zu jung. Ich hatte keine Eltern, die so etwas wie eine normale Beziehung geführt haben und die ich für meine eigene als Vorbild hätte nehmen können. Irgendwie fand ich es also normal, so wie es war.
Dann bekam Tim Geldprobleme, er hatte Wettschulden und einen aufwendigen Lebensstil. Und er fand wohl, dass ich mithelfen könnte, seine Schulden zu beseitigen. Der Rest ist so sehr schlimmstes Klischee, dass ich es eigentlich kaum erzählen mag. Es hat damit angefangen, dass ich bei seinen Freunden für Geld, das er bekommen hat, geputzt und aufgeräumt habe. Und geendet hat es damit, dass versucht hat, mich für Geld an einen Freund von ihm ... weiterzureichen.“
Ich mache wieder eine Pause und versuche, in Matts Gesicht zu schauen und eine Reaktion zu erkennen, doch er schaut nur geradeaus auf die Straße.
„Ich habe mich geweigert. Irgendwo muss ich wohl ein letztes bisschen Selbstwertgefühl gefunden haben. Daraufhin hat er mir ein blaues Auge geschlagen und mich vor die Tür gesetzt.“
Ich lache und kann selbst die Bitterkeit hören, die es auch nach Jahren noch in mir auslöst.
„ Zu Hause habe ich erzählt, ich sei hingefallen. Tim habe ich nie wieder gesehen. Das Geld das er für mich bekommen hat, als er versucht hat mich zu verkaufen, habe ich ihm gestohlen. Wenigstens das.
Die beiden Typen , mit denen ich danach zusammen gewesen bin, waren vergleichsweise harmlos. Der eine hatte noch zwei andere Freundinnen zur selben Zeit und der Letzte hat uns beim Sex gefilmt und die Aufnahmen seinen Freunden gezeigt. Zum Glück war das vor der Zeit der digitalen Aufnahmen und ich habe das Band in die Finger bekommen und vernichtet.“
Ich streiche mir eine verirrte Haarsträhne aus der Stirn und zucke mit den Schultern.
„Danach habe ich beschlossen, keine festen Beziehungen mehr einzugehen. Und ich halte mich daran.“
Matt schaut eine ganze Weile nachdenklich auf die Straße und sagt kein Wort. Ich ärgere mich darüber, dass ich ihm das alles erzählt habe. Eigentlich geht es ihn ja gar nichts an. Und normalerweise erzähle ich solche Dinge niemandem. Nur mein Bruder weiß über meine missglückten Männergeschichten Bescheid. Ich fühle mich plötzlich müde und erschlagen, so als hätte ich einen furchtbar anstrengenden Tag gehabt.
Matt sagt immer noch nichts. Nach einer Weile legt er stumm seine Hand auf mein Bein und lässt sie dort liegen, nimmt sie nur weg, wenn er schalten muss.
Ich mache erschöpft die Augen zu und das sonore Brummen und das leichte Schaukeln des fahrenden Autos sorgen dafür, dass ich einschlafe. Als ich wieder wach werde, liegt seine Hand immer noch auf meinem Bein, warm und fest.
Kapitel 15
„Hast du gut
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