Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Herrenbesuch auf die Telegramme bezogen
habe? Würde etwa jemand diesen Götting – nein Götten, schau dir doch seine
Fotos mal genau an –, würde jemand ihn, ganz gleich, wie er gekleidet sein mag,
denn als Herrenbesuch bezeichnen? Nein, nicht wahr, so etwas nennt man in der
Sprache freiwillig spitzelnder Mitbewohner immer noch Männerbesuch, und ich
verwandle mich auf der Stelle in eine Prophetin und sage dir, daß wir innerhalb
von spätestens einer Stunde ebenfalls Herrenbesuch bekommen, und was ich
dir außerdem prophezeie: Ärger, Konflikte – und möglicherweise das Ende einer
alten Freundschaft, Ärger auch mit deiner roten Trude, und mehr als Ärger mit
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Heinrich Böll
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Katharina, die zwei lebensgefährliche Eigenschaften hat: Treue und Stolz, und sie
wird niemals, niemals zugeben, daß sie diesem Jungen einen Fluchtweg gezeigt
hat, den wir, sie und ich, gemeinsam studiert haben. Ruhig, mein Liebster, ruhig:
es wird nicht rauskommen, aber genaugenommen bin ich schuld, daß dieser
Götting, nein Götten, ungesehen aus ihrer Wohnung verschwinden konnte. Du
erinnerst dich sicher nicht mehr, daß ich einen Plan der gesamten Heizungs-,
Lüftungs-, Kanalisations- und Leitungsanlagen von ›Elegant am Strom wohnen‹
in meinem Schlafzimmer hängen hatte. Da waren die Heizungsschächte rot,
die Lüftungsschächte blau, die Kabelleitungen grün und die Kanalisation gelb
eingezeichnet. Dieser Plan hat Katharina derart fasziniert – wo sie doch selbst so
eine ordentliche, planende, fast genial planende Person ist –, daß sie immer lange
davor stand und mich immer wieder nach Zusammenhängen und Bedeutungen
dieses »abstrakten Gemäldes« – so nannte sie es – fragte, und ich, ich war drauf
und dran, ihr eine Kopie davon zu besorgen und zu schenken. Ich bin ziemlich
erleichtert, daß ichs nicht getan habe, stell dir vor, man hätte eine Kopie des
Plans bei ihr gefunden – dann wäre die Verschwörungstheorie, die Idee des
Umschlagplatzes perfekt untermauert, die Verbindung – Rote-Trude-Banditen
– Katharina-Herrenbesuch. So ein Plan wäre natürlich für alle Sorten von
Ein- und Ehebrechern, die nicht gesehen werden wollen, eine ideale Anleitung,
ungesehen ein- und auszugehen. Ich selbst habe ihr noch erklärt, welche Höhe
die einzelnen Gänge haben: wo man aufrecht gehen, wo man gebückt gehen
kann, wo man kriechen muß, bei Rohrbrüchen und Kabelpannen. So, nur so
kann dieser liebenswürdige junge Gentleman, von dessen Zärtlichkeiten sie jetzt
nur noch träumen darf, der Polizei tritschen gegangen sein, und wenn er wirklich
ein Bankräuber ist, wird er das System durchschaut haben. Vielleicht ist auch der
Herrenbesuch so ein- und ausgegangen. Diese modernen Wohnblocks erfordern
ganz andere Überwachungsmethoden als die altmodischen Mietshäuser. Du
mußt der Polizei und der Staatsanwaltschaft gelegentlich mal ’nen Tip geben.
Die bewachen die Haupteingänge, vielleicht das Foyer und den Aufzug, aber
da gibt es außerdem einen Arbeitsaufzug, der direkt in den Keller führt – und
da kriecht einer ein paar hundert Meter, hebt nur irgendwo einen Kanaldeckel
und ist perdu. Glaub mir: jetzt hilft nur noch beten, denn Schlagzeilen in der
ZEITUNG in diesem oder jenem Zusammenhang kann er nicht brauchen, was
er jetzt braucht, ist eine direkte handfeste Manipulation der Ermittlungen und
der Berichterstattung darüber, und was er ebenso fürchtet wie die Schlagzeilen,
ist das bittere und säuerliche Gesicht einer gewissen Maud, die seine ihm
rechtmäßig und kirchlich angetraute Frau ist, von der er außerdem vier Kinder
hat. Hast du denn nie bemerkt, wie ›jungenhaft fröhlich‹, fast ausgelassen – und
ich muß schon sagen: richtig nett er die paar Mal mit Katharina getanzt hat, und
wie er sich geradezu aufdrängte, sie nach Hause zu bringen – und wie jungenhaft
enttäuscht er war, als sie ihren eigenen Wagen anschaffte? Das, was er brauchte,
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wonach sein Herz begehrte, so ein einmalig nettes Ding wie Katharina, nicht
leichtfertig und doch – wie nennt ihr das doch – liebesfähig, ernst und doch jung
und so hübsch, daß sies selber nicht wußte. Hat sie nicht auch dein Männerherz
ein wenig erfreut?«
Ja, ja, das hatte sie: sein Männerherz erfreut, und er gab es zu, gab auch zu, daß
er sie mehr, viel mehr als nur gern habe, und sie,
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