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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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Fremden.
    Helene erkannte ihn sofort. Er musste sich nicht umdrehen. Als er nun eine Hand nach Luisa ausstreckte, eine kräftige Hand, groß wie eine Schaufel, stieß sie einen Laut aus.
    »Vater!«
    Der Angesprochene fuhr herum.
    »Helene.« Er zog die Hand zurück, erhob sich von seinem Stuhl. »Helene, meine Kleine, wie schön, dich zu sehen.«
    »Was machst du hier?« Helene hatte Luisa auf den Arm genommen. Die Kleine drückte sich an sie und fuhr fort, neugierig ihren Großvater zu mustern.
    »Marianne besucht Mutter.«
    »Ach ja«, brachte Helene heraus. Er hatte ja gesagt, dass er die ältere Schwester vorerst nicht mehr sehen wollte, nicht mehr mit ihr sprechen wollte, dass sie, ginge es nach ihm, tot sein könne. Er war also gekommen, weil er sich sicher sein konnte, sie alleine anzutreffen. Oder war sie zu misstrauisch? Sie nickte zu einem Krug auf der Anrichte hin. »Darf ich dir etwas zu trinken anbieten?«
    »Danke, ich brauche nichts.«
    Einen Moment lang wusste Helene nicht, was sie sagen sollte, dann ging sie zum Tisch, rückte sich einen Stuhl zurecht, wies auf den verbliebenen. »Setz dich doch, Vater.«
    »Ich …«
    »Setz dich, bitte.«
    Er setzte sich. Helene nahm den Krug vom Tisch, schenkte sich beiden einen Becher gewässerten Weins ein und nahm ebenfalls Platz, die kleine Luisa auf ihrem Schoß.
    »Nun sag, warum bist du hier?«
    Der Vater wich ihrem Blick aus, schaute wieder die Kleine an.
    »Sie sieht ihrer Mutter ähnlich, nicht wahr?«, sagte Valentin unvermittelt. »Sie wird einmal eine sehr schöne Frau werden.«
    Helene musterte ihre Nichte und setzte sie wieder zurück auf die Decke, wo sie mit einem Holzscheit spielte. Ja, sie musste ihm beipflichten: Luisa war eine dunkle Version ihrer Mutter, auch wenn sie den Vater ebenso wenig verleugnen konnte.
    Auch sie wird einmal sehr geliebt werden, dachte Helene, die Burschen werden ihr hinterhersteigen. Sie wird andere Mädchen verletzen, nur weil es sie gibt und weil auf Festen alle nur mit ihr tanzen werden. Man wird Lieder für sie singen, wird Gedichte auf sie verfassen, und sie wird nichts Besonderes daran finden, weil es doch normal ist. Nein, sie wird es noch nicht einmal bemerken.
    Sie hatte geglaubt, dass solche Gedanken nun hinter ihr lagen, aber dem war nicht so. Nicht mehr, seit Gianluca wieder in ihr gemeinsames Leben getreten war. Sie sah Luisas Zukunft vor sich, und diese Zukunft missfiel ihr. Sie sah Mädchen, wie sie selbst eines war, über die Luisa hinwegtrampeln würde, ohne es zu bemerken oder überhaupt Böses zu wollen.
    »Sie hat schwarze Haare«, entfuhr es ihr, »wie der, der …«
    Valentin seufzte auf. »Wie der Hund, der uns unsere Marianne gestohlen hat. Gianluca.« Er sprach den Namen langsam aus. Offenbar fiel es ihm schwer, ihn auszusprechen, denn er wollte sich kaum von der Zunge lösen. »Deshalb bin ich auch hier.«
    »Deshalb?« Die andere Helene war zurück. Die Marianne verteidigen wollte. Die wie eine Löwin um Luisa zu kämpfen bereit war. Die Helene, die ihre Gefühle hin- und herrissen.
    Der Vater griff nach dem Becher Wasser und leerte ihn auf einen Zug, dann setzte er ihn ruckartig auf den Tisch zurück.
    »Ich habe eine Familie ausgemacht, die Luisa ein Heim bieten kann.«
    Der Schreck verschloss Helenes Lippen. Niemand durfte Marianne das Kind wegnehmen! Fieberhaft überlegte sie, was zu tun war. Es war der Vater, der ihr die Entscheidung abnahm. Er sprach leise, als wage er im Grunde gar nicht auszusprechen, was er nun sagte: »Wirst du mit ihr reden? Wirst du sie zur Vernunft bringen? Du bist ja die Einzige, auf die sie sich einlässt.«
    Weil du ihr keine Gelegenheit dazu gibst, dachte Helene bei sich, doch sie nickte nur.
    Helene sagte Marianne nichts vom Besuch des Vaters und nichts davon, was er zu tun beabsichtigte. Für einige kurze Tage lebten sie wieder gemeinsam das Leben, das sie seit Luisas Geburt hier lebten. Marianne verhätschelte ihre Tochter, machte ihr Leckereien aus dem, was man ihnen schickte, nähte und stickte sogar und wusch Luisas Kleidung, damit das Kind niemals schmutzig aussehen musste. Manchmal verfiel sie ins Grübeln. Helene beobachtete sie, wartete und bejubelte erfreut Luisas erste Schritte.
    Ein ums andere Mal wollte Helene vom Besuch des Vaters anfangen, aber die rechten Worte wollten nicht kommen, und ein ums andere Mal schob sie das Gespräch auf.
    An einem Morgen stieg sie gerade die Treppe von der Schlafkammer hinunter, als ihr Blick auf Marianne fiel.

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