Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)
ihr im Sand gesessen.
Verwirrt hatte Lea geblinzelt und sich ebenfalls aufgesetzt.
»Rike hat mir gesagt, wo du bist«, hatte er gesagt.
»Wie kommst du hierher?«
»Mit meinem Käfer.« Tom lächelte sie an. »Der alte Knabe hat die Strecke geschafft, mit Ächzen und Stöhnen zwar, aber ich bin hier.«
Lea griff nach ihrer Sonnenbrille. Es war leichter, ihn anzuschauen, wenn sie ihre Augen verbarg. Ich liebe ihn, dachte sie, ich liebe ihn tatsächlich.
»Wo sind Mia und Conny?« Ihre Stimme klang belegt.
»In Hamburg, natürlich. Wo denn sonst?« Tom spähte zur Wasserlinie hinüber. »Ich hätte dir früher von ihnen erzählen sollen, nicht?«
»Hm …«
»Ich hätte es dir sagen müssen.«
»Ja, vielleicht.«
Lea dachte wieder an den Tag, an dem sie Tom, Mia und Mias Mutter im Eiscafé gesehen hatte. Das Gefühl der Enttäuschung war schwächer, aber es war sofort wieder da. Sie beobachtete Tom, der mit gesenktem Blick begonnen hatte, grobe Linien in den Sand zu ziehen. Jetzt schaute er wieder auf. Seine Augen suchten ihre hinter den dunklen Brillengläsern. Er zögerte, dann nahm er ihr die Brille ab. Lea blinzelte erneut ins helle Licht.
»Ich liebe dich«, sagte Tom.
EPILOG
Bonnheim, 1794
Helene hatte mehrmals unruhig die Haltung gewechselt, bis sie Gianluca endlich am Ende des Weges auftauchen sah. Es war lange her, dass sie einander hier am Weinberghäuschen begegnet waren. Sie hatte sich immer vorstellen wollen, wie schön es sein würde, ihn alleine wiederzusehen, aber es war anders gekommen. Ein paar Schritte von ihr entfernt blieb er stehen.
»Weißt du es?«, fragte sie zögerlich in der Hoffnung, sie müsse ihm nicht davon erzählen.
Sie sah, wie er die Schultern hob und wieder sinken ließ.
»Marianne ist tot«, fuhr sie fort, als er keine Anstalten machte zu sprechen.
Gianluca legte den Kopf etwas zurück und musterte sie eingehend. Helene erwiderte seinen Blick.
»Ich lüge nicht.«
»Ich weiß.«
Ein leichter Wind fuhr durch das niedrige Gras in ihrer Nähe. Etwas weiter entfernt bewegten sich die Blätter der Weinstöcke. Einen Moment lang sah er an ihr vorbei auf das Weinberghäuschen. Für wenige Wimpernschläge schien ein kaum merkliches Lächeln auf seinem Gesicht auf.
»Wo ist Luisa?«
»Sie ist bei einer guten Familie. Ich verspreche, dass ich mich um sie kümmern werde.«
Gianluca sah Helene eindringlich an.
»Was, wenn ich meine Tochter mitnehmen möchte?«
Helene sah kurz zu Boden, bewegte die Fußspitze über den Staub und hob den Blick dann wieder.
»Das wird Vater nicht zulassen. Er wird dich jagen. Sie ist ein kleines Kind. Tu ihr das nicht an.«
»Ich soll mein Kind zurücklassen?«
»Es ist besser.«
Gianluca schwieg. »Ich habe sie nie gesehen«, sagte er dann. »Ist sie Marianne ähnlich?«
Seine Stimme zitterte, als er ihren Namen aussprach.
»Sie ist auch dir ähnlich«, erwiderte Helene sanfter, als sie es von sich erwartet hatte. Ganz kurz herrschte wieder Schweigen, dann sah Helene Tränen in Gianlucas Augen aufschimmern. Unruhig zog sie die Schultern hoch.
»Ich möchte sie einmal sehen«, sagte er mit gepresster Stimme.
Gianluca war schon lange in der Ferne verschwunden, als Helene sich endlich in Bewegung setzte. Wenn sie kräftig ausschritt und keine Abkürzungen nahm, würde sie in gut einer Stunde zu Hause sein. Das Wetter war schön gewesen, und so hatten sie Luisa und ihre Pflegemutter im Garten beobachten können. Anfangs war sie sich nicht sicher gewesen, aber Gianluca war an ihrem Beobachtungsplatz geblieben, hatte dem Kind beim Spielen zugesehen und ab und an gelächelt. Einmal war Luisas Ball zu ihnen gerollt. Gianluca hatte ihn zurückrollen lassen, aber die Kleine hatte sich nicht gefragt, wo dieser Ball jetzt wohl herkam, ihn einfach aufgenommen und sich kurze Zeit später jauchzend in die Arme ihrer Pflege mutter geworfen.
Wenig später hatten sie sich zurückgezogen. An der Weggabelung, an der sich ihre Wege trennen sollten, blieben sie noch einmal stehen.
»Versprich mir, Helene, versprich mir, dass du auf sie achtgeben wirst. Versprich mir, dass sie immer auch einen Platz in eurem Haus haben wird.«
Helene nickte.
»Adieu, Gianluca«, sagte sie.
»Adieu«, entgegnete er. »Im nächsten Sommer komme ich wieder.«
Sommer 1815
Im Sommer 1815 wurde die Welt neu geordnet. Luisa hei ratete einen reichen Winzersohn, und Helenes Anton tanzte einen ausgelassenen Walzer mit der Braut.
Jeden Sommer, dachte Helene, während
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