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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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nach so vielen Jahren geblieben war.

F ünftes Kapitel
    Der bläuliche Schimmer begann sich allmählich lila, dann rot und schließlich rosa zu verfärben. Der Nebel am Fuß des Hügels verflüchtigte sich, während sich warme, gelbe Streifen in das Rosarot mischten, die sich endlich in sat tes Gold verwandelten, das die Spitzen der Weinstöcke zum Leuchten brachte. Die Sonne ging auf.
    Lea sog die frische Morgenluft in vollen Zügen ein. Sie war nicht zum ersten Mal frühmorgens zum alten Gut gefahren, um das Spiel der Farben zu genießen. Seit über zehn Jahren lebte sie schon in dieser Gegend und hatte nun den Eindruck, die ganze Zeit über etwas verpasst zu haben. Sie hatte vom Leben auf dem Land geträumt und war dem Land doch immer fern geblieben.
    Sie blinzelte ins Licht. Hinter ihr knirschten Schritte auf dem Kies. Heute Morgen hatte Claire erstmals gebeten, sich ihr anschließen zu dürfen. Lea drehte den Kopf gerade so weit zurück, dass sie ihre Großmutter sehen konnte.
    »Hübsch hier!«, rief die im Näherkommen aus.
    »Ja.« Dann musterte Lea den eleganten dunkelblauen Trenchcoat, den ihre Großmutter zu ebenfalls dunkel blauen Hosen und einem blau-weiß gemusterten Paisley tuch trug. »Gehst du heute weg?«
    Noch bevor ihre Großmutter antwortete, kämpfte Lea schon gegen die Enttäuschung an. In der Frühe hatte es nur Milchkaffee und Tee sowie je ein Butterhörnchen gegeben. Noch in der Dunkelheit hatte sie den Korb für das Mittagessen gepackt, hatte sich ausgemalt, wie Claire und sie nach getaner Arbeit eine Pause machten, gemeinsam aßen und darüber ins Reden kamen. Um zu reden, war ein gemeinsames Essen doch sicherlich eine gute Gelegenheit.
    »Es tut mir wirklich leid«, Claire schenkte Lea ein kleines Lächeln, »aber ich muss heute dringend etwas erledigen. Kommst du alleine zurecht?«
    »Natürlich komme ich zurecht. Und das andere, das eilt ja nicht.«
    Lea drückte Claire einen Kuss auf die faltige, weiche Wange. Es war immer noch erstaunlich, wie schnell sie einander nahegekommen waren. Vielleicht war es Claires Art. Lea fand sonst schwerer Zugang zu fremden Menschen. Claire war tatsächlich die Großmutter, die sie nie gehabt hatte.
    »Soll ich dich fahren?«
    Claire schüttelte den Kopf. »Ich habe mir ein Taxi bestellt.«
    Lea sah zu, wie ihre Großmutter mit vorsichtigen Schrit ten zum Weg zurückbalancierte und sich dann in den Gartenstuhl setzte, den sie vorgestern aus Leas Keller mitgenommen hatten.
    Von Neuem schaute Lea auf die langen Reihen von Weinstöcken, die sich von der kleinen Talsohle, in der sich das Gut befand, zur nächsten Hügelkuppe hinaufzo gen. Die Sonne wurde mit jeder Minute kräftiger. In Kürze würde sie Claires Stuhl erreicht haben, und genau dort – so nahm sich Lea vor – würde sie später auch eine Pause machen und ein wenig lesen. Zu Hause hatte sie blindlings einige Bücher gegriffen und in eine kleine Reisetasche geworfen. Sie hatte lange nicht mehr gelesen und freute sich darauf.
    Das Geräusch eines Wagens ließ sie in die Gegenwart zurückkehren. Das Taxi, ein alter Mercedes, schaukelte auf das Gut zu. Claire winkte ihr noch einmal zum Abschied zu und stieg ein.
    Lea sah dem Taxi hinterher, bis es hinter der nächsten Hügelkuppe verschwunden war. Sie würde also auch heute keinen Schritt weiterkommen mit dem, was sie doch so gerne wissen wollte. Man konnte gut reden mit Claire – das war ihr in den wenigen gemeinsamen Tagen deutlich geworden. Ihre Großmutter war munter, offen und fröhlich – und doch wusste Lea immer noch nicht, warum sie zurückgekehrt oder warum sie überhaupt nach Australien gegangen war. Warum hatte sie ihr Kind zurückgelassen und offenbar nie wieder Kontakt mit ihrer Familie aufgenommen?
    Lea entschied sich, zum Haus zurückzugehen. Sie würde sich einfach an die Arbeit machen und so den Grübeleien vorerst ein Ende setzen, auf die sie ohnehin keine Antwort wusste. Sie steuerte auf die Haustür zu, öffnete sie und klemmte sie mit einem Holzkeil fest, um etwas Licht ins Haus zu lassen.
    Dann durchquerte sie den schwarz-weiß gefliesten Flur. Als er unter einer dicken Schmutz- und Staubschicht her vorgekommen war, hatte sie Claire gefragt, ob diese Fliesen schon damals da gewesen waren. Einen Moment lang hatte ihre Großmutter nicht geantwortet.
    »Ich glaube schon«, hatte sie dann erwidert und nachdenklich und gleichzeitig ein wenig traurig ausgesehen.
    Claire schien etwas vor ihr zu verbergen.
    Vielleicht war es

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