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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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aber auch einfach normal, sich nach so langer Zeit nur schwer zu erinnern. Lea hatte die Küche betreten. Hier war Claire gesprächiger gewesen, hatte von dem schönen großen Holztisch erzählt, an dem sie als junge Frau gegessen und gearbeitet hatte.
    Im nächsten Moment stand Lea wieder einmal vor dem schweren Küchenbuffet, ein Gründerzeitmöbel, an das Claire sich ebenfalls noch erinnerte. Heute wollte Lea es auswaschen und nachsehen, was daran repariert werden musste. Auf jeden Fall musste das Glas in den Türen ersetzt werden. Entweder waren die Scheiben gesprungen oder gar nicht mehr vorhanden. Quietschend bewegte sie eine der Schranktüren hin und her, entdeckte, im Scharnier klemmend, einen Teil eines Lottoscheins.
    Wer von den einstigen Bewohnern wohl gespielt hatte?
    Schließlich begann sie damit, das alte Schrankpapier herauszureißen und in den mitgebrachten Müllbeutel zu werfen. Während das Holz außen einmal glänzend poliert gewesen sein musste, war es innen quasi unbehandelt und rau. Lea nahm sich vor, beim nächsten Einkauf Möbelpolitur zu besorgen.
    Sie kniete jetzt, um das Papier auch aus den unteren Schubladen zu entfernen. Eine, stellte sie fest, war nicht leer. Einige Teile eines alten Blechgeschirrs befanden sich darin nen, eine alte Zeitung, ein zerfleddertes Romanheft chen.
    Lea musste lächeln, als sie daran dachte, wie sie ihre ersten Denise-Romane, um Atem kämpfend, mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen hatte. Rike hatte nichts von solcher Lektüre gehalten – trotzdem, oder viel leicht gerade deswegen, hatte sich Lea nicht von den pastellrosafarbenen Heftchen trennen können.
    Aber sie hatte jetzt keine Zeit, weiter in Erinnerungen zu schwelgen. Lea warf alles in die schon gut gefüllte Mülltüte. Das erste Wasser, mit dem sie den Schrank auswusch, war danach fast schwarz.
    Nach fast einer Stunde auf den Knien stand sie zum ersten Mal wieder auf, klopfte sich mechanisch den Staub von den Hosen und entschied sich, eine Pause zu machen. Es war nun kurz vor zwölf Uhr. Die Julisonne tauchte das alte Gutshaus in helles Licht.
    Lea setzte die Wasserflasche an und nahm einen tiefen, genüsslichen Schluck. Dann blickte sie sich zufrieden um. Es tat ihr wirklich gut, etwas mit den Händen zu schaffen. Gemächlichen Schritts machte sie sich auf den Weg zu dem bequemen Gartenstuhl im Hof, der im Schatten des alten Kirschbaums stand. Bevor sie sich setzte, trank sie noch etwas Mineralwasser.
    Claire hatte gesagt, der untere Teil des Hauses stamme aus dem 18. Jahrhundert, der obere sei im 19. Jahrhundert erneuert worden. Das heutige Dach, da war sich Lea sicher, war danach noch einmal erneuert worden. An der der Sonne über Mittag zugewandten Seite des Hauses ent deckte sie eine Sonnenuhr.
    Und wie hat es früher hier ausgesehen? Sie hatte ihre Vorstellungen, aber stimmten sie mit der Wirklichkeit über ein? Und wer hatte hier gelebt, Claire ausgenommen?
    Lea hatte helle Flecken im Flur bemerkt, dort, wo früher einmal Bilder gehangen hatten. Im einstigen Wohn zimmer war die Wand in der Nähe des Kamins von Rauch verfärbt. Im Schlafzimmer schälte sich an einer Stelle eine gemusterte Tapete von der Wand. Die Dielen waren al lent halben abgelaufen, die Farbe auf den steilen Treppenstufen teils abgescheuert, teils vollkommen verschwunden.
    Gedankenverloren starrte Lea weiter auf das Haus. Ob es Verwandte gewesen waren, die vorher hier gelebt hat ten, vor Claire? Es war seltsam, sich vorzustellen, Teil einer großen Familie zu sein, auch wenn sie sich das immer gewünscht hatte.
    Für einen Moment verschwand die Sonne hinter einer großen Wolke und ließ die leeren Fensterlöcher wie schwarze Augenhöhlen wirken. Lea fröstelte unwillkürlich, dann gab sie sich einen Ruck. Himmel, das war ein Haus, nichts weiter. Es gab hier keine raunenden Stimmen, die von der Vergangenheit sprachen, und keine leeren Fensteraugen, die sie mahnend anblickten. Wo, überlegte Lea, während sie mit einem Mal gegen den Schlaf ankämpfte, war Claire nur hingefahren?
    Das Café an der Liebfrauenkirche gab es immer noch. Café und Konditorei Bräutigam hatte es damals geheißen. Claire hatte sich von dem Taxi in unmittelbarer Nähe absetzen lassen, einen der hinteren Plätze ausgesucht und ein Stück Erdbeersahnetorte zu ihrem Milchkaffee gewählt. Es war inzwischen Mittag. Das Café hatte sich mit der Zeit, die sie hier saß, gefüllt, womöglich Mittagsgäste aus den umliegenden Geschäften.
    Claire

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