Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
Vom Netzwerk:
nicht vor Glück zu schreien. Und als sie sich wieder voneinander trennten, fasste Marianne in einer unwillkürlichen Bewegung nach ihrem Bauch. Eben hatte da etwas geflattert, ein Schmetterling, ein kleiner Schmetterling …
    Gianluca lächelte.
    »Meine Liebste … Meine liebste Frau …«
    Aber meine Eltern, durchfuhr es Marianne, kurz senkte sie den Kopf und hob ihn dann entschlossen wieder. Nein, sie wollte jetzt keine Einwände mehr vorbringen. Sie wollte ihn nur weiter küssen, nichts mehr und nichts weniger.
    Der Wagen war Helene zuerst aufgefallen. Doch erst als sie sich dem Gefährt näherte und dann noch etwas den Abhang hinauf auf das alte Weinberghäuschen zulief, hörte sie die Stimmen; Stimmen, die sie zuerst nicht erkannt hatte und vielleicht auch nicht hatte erkennen wollen.
    Gianluca.
    Marianne.
    Sie hatte einen Moment lang überlegt und sich dann behutsam näher zum Versteck der beiden hingeschoben. Der Winter ließ einem kaum Deckung, und doch konnte sie nicht stehen bleiben. Wieder war sie das Metallspänchen. Diesmal waren Gianluca und Marianne der Magnet.
    »Marianne?«, rief sie, als sie nur noch wenige Schritte entfernt stand.
    Die Stimmen verstummten sofort, ein kurzes, hastiges Flüstern folgte. Einen Moment später tauchte zuerst ihre Schwester, das Gesicht rosig, die Haare zerzaust, im Eingang des Häuschens auf, und Helene musste unwillkürlich daran denken, dass sie dort als Kinder gespielt hatten. Hinter ihr erschien bald auch Gianluca.
    »Du bist zurück«, sagte Helene lahm.
    »Ja.«
    Die Schwester ging weiter auf sie zu. Nein, sie ging nicht, sie tanzte. Ihre Füße bewegten sich, als berührten sie die Erde nicht, und Helene zerriss dieser Anblick schier das Herz. Stets war ihrer Schwester alles leichtgefallen. Was sie nicht wollte, das tat sie nicht, und sie ließ sich von niemandem darin beirren. Auch in den einfachsten Kleidern sah sie aus wie eine Königin, während sich Helene selbst in ihrem besten Kleid vorkommen würde wie in Lumpen gekleidet. Immer und überall folgten Marianne Blicke, eine Bewunderung, die sie akzeptierte oder einfach nicht bemerkte, ganz wie es ihr passte.
    Ich hasse dich, dachte Helene unwillkürlich und erschrak über dieses ungewohnt heftige Gefühl. Es war unnötig, etwas zu sagen, sie verstand auch so. Der Blick, den Gianluca Marianne zuwarf, die Art, wie sie ihm den Kopf zudrehte, als wären sie beide durch eine unsichtbare Macht verbunden.
    Helene schluckte. Sie hatte sich von jeher einsam gefühlt und wusste nun, dass sie sich weiter einsam fühlen würde.
    Ja, sie hatte genug gesehen. Sie war nun erwachsen, eben war sie erwachsen geworden. Der Schmerz riss an ihren Eingeweiden. Sie war dumm gewesen, so elend dumm. Sie hatte nicht gewusst, wie es sich anfühlte, wenn die Welt in Stücke brach.
    Jetzt wusste sie es.
    »Du hast mich angelogen!« Nur mit Mühe dämpfte Helene ihre viel zu schrille Stimme. Sie hatte sich so lange beherrscht. Sie hatte sich über den ganzen restlichen Nachmittag hinweg beherrscht und während des gemeinsamen Essens. Sie hatte sich beherrscht, während Marianne aus Mainz berichtete und Grüße von Tante, Onkel und Bruder bestellt hatte. Sie hatte sich beherrscht, obwohl alles in ihr geschrien hatte. Wie kann sie mir das antun? Wie kann sie mir das nur antun? Hat sie innerlich gelacht, während ich ihr von ihm vorschwärmte?
    Erst am nächsten Tag fanden sie Zeit alleine miteinander, und Marianne bat ihre Schwester, sie zum Gartenhäuschen zu begleiten. Helene folgte ihr wortlos.
    »Ich habe dich nicht angelogen.« Mariannes Stimme klang müde. »Wir haben uns ineinander verliebt.«
    »Wir haben uns ineinander verliebt«, äffte Helene sie nach. »So einfach ist das also.«
    »Ja«, entgegnete Marianne, und etwas von der gewohnten Unerbittlichkeit schlich sich in ihre Stimme. »So einfach ist das.«
    Einen Moment länger noch blickte Helene in die grünbraunen Augen ihrer Schwester, dann wandte sie den Kopf ab und schaute das alte Gartenhaus an. Sie sog die Unterlippe ein, ließ wieder los.
    »Ich sage es Vater.«
    »Dann sag’s ihm doch.« Marianne klang müde. »Es ist die Wahrheit. Was soll ich gegen die Wahrheit tun, verrate mir das?«
    Helene fuhr fort, das Häuschen anzustarren.
    Sie setzt immer ihren Willen durch, dachte sie bitter, ganz gleich, welche Folgen das für die anderen hat. Aber das hätte nicht geschehen dürfen. Sie hätte mir Gianluca nicht nehmen dürfen, sie wusste doch, dass ich ihn liebe. Ich

Weitere Kostenlose Bücher