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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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Ruck, lief bis zu den Stufen, die sich etwas weiter an der Seite der Mauer befanden, raffte ihre Röcke und stolperte in der Aufregung beinahe. Endlich kniete sie an Antons Seite. Da war so viel Blut, so viel Blut, und es schien noch mehr und mehr hervorzusickern. Zuerst wollte sie es kaum wagen, ihn anzufassen.
    »Ist er tot?«, sprach Marianne ihre bange Frage laut aus und ließ die Jüngere zusammenzucken.
    »Ich glaube ja«, hauchte Helene. »Das ganze Blut, er kann …«
    Sie streckte die Hand aus, zögerte noch einen Moment und legte die Finger dann gegen Antons Hals, wie sie es einmal bei Dr. Kamenz, dem alten Hausarzt der Familie, gesehen hatte. Aber sie spürte nichts. Sie spürte einfach nichts. Als sie den Kopf erneut hob, hatte die Schwester sich schon wieder Gianluca zugewandt.
    »Du musst sofort weg hier. Sie werden sagen, es ist deine Schuld … Du musst weg hier, Liebster!«
    Mariannes Stimme zitterte, sie kämpfte neuerlich mit den Tränen.
    In einer weichen Bewegung legte Gianluca seine kräftigen Finger unendlich zart gegen ihr Gesicht. Seine Fingerknöchel waren vom Kampf aufgeschürft und blutig. Er zögerte einen Moment, dann ließ er die Hände sinken.
    »Aber ich habe mit ihm gekämpft, Marianne. Ich habe Schuld.«
    »Es war ein Unfall. Bitte«, Mariannes Stimme bebte, »bitte geh! Ich will dich nicht auch noch verlieren.«
    Gianluca starrte sie an, dann schüttelte er den Kopf.
    »Ich lasse dich nicht allein.« Seine Augen liebkosten ihr Gesicht, glitten dann vorsichtig an ihrem Körper nach unten, bis sie auf dem Bauch verharrten. »Ich lasse euch nicht allein.«
    Helene wurde eiskalt. Euch?
    Marianne bemerkte die Unruhe der Schwester nicht, flehte Gianluca an.
    »Du musst gehen. Du musst jetzt gehen, damit wir später vielleicht alle, du, unser Kind und ich, eine Zukunft haben.«
    »Komm mit, Marianne.«
    »Nein, das kann ich nicht.« Marianne hob abwehrend die Hände. »Das kann ich meinen Eltern nicht antun.«

Dritter Teil
    G egenwart
    August bis September 1997

E rstes Kapitel
    Jesus!, wollte Lea ausrufen, doch sie beherrschte sich gerade noch. Der junge Mann draußen vor der Tür hatte die Augen wegen des grellen Sonnenlichts zusammengekniffen. Auch dieses Mal trug er ein Karohemd und eine dunkle Arbeitshose aus Cord, dazu feste Arbeitsschuhe. Wieder steckte ein Zollstock in seiner seitlichen Hosentasche. Sein Haar war unverändert wild und lockte sich bis auf seine Schultern, dafür hatte er sich offenbar rasiert. Sein Kinn war nur noch von Bartstoppeln bedeckt. War er etwa ein Handwerker? Hatte Claire ihn bestellt? Lea jedenfalls nicht, so viel war klar.
    »Frau Kadisch?«
    Lea war es, als habe sie die Stimme erst gestern gehört.
    »Ja?« Sie trat noch einen Schritt von der geöffneten Tür weg, tiefer in den dämmrigen Flur. »Kommen Sie doch herein.«
    Sie wartete nicht auf seine Reaktion, drehte sich stattdessen um und ging ihm voraus. In der Küche steuerte sie die Anrichte an, lehnte sich fest dagegen, als suche sie Halt, und löste sich wieder davon. Warum, um Himmels willen, war sie nur so nervös? Sie kannte ihn doch kaum.
    Sie beobachtete, wie sich der junge Mann – wahrscheinlich aus Gewohnheit – im Türrahmen bückte, so wie das hochgewachsene Leute oft taten. Er war groß, das war ihr schon bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen. Groß und schlank, irgendwie jungenhaft.
    Nun erkannte er sie auch.
    »Ach, Sie sind das! Die Welt ist klein, sag ich immer, besonders hier in der Gegend.«
    »Ich bin wer?« Lea schaute ihn fragend an.
    Er lächelte.
    »Mein Onkel und vor allem Ihre Großmutter haben mir von Ihnen erzählt, aber wir haben uns auch schon mal getroffen. Erinnern Sie sich?«
    Lea hob die Augenbrauen. Er schien es als Frage zu verstehen.
    »Wissen Sie noch, damals, frühmorgens, dieser herrliche Sonnenaufgang …«
    »Ja …«, entgegnete Lea zögerlich. So herrlich hatte sie ihn nicht in Erinnerung. Eigentlich wollte sie sich auch gar nicht an diesen Tag erinnern. Was hat Großmutter wohl von mir erzählt?, überlegte sie.
    Der junge Mann schaute sich jetzt kurz um, streckte ihr dann die Hand entgegen. »Ich bin Tom, der Neffe von Wolf Wieland. Vielleicht hat man ja auch schon von mir gesprochen?«
    »Nein.« Lea ergriff seine Hand und schüttelte sie. »Lea. Lea Kadisch, aber das wissen Sie ja schon.«
    Nachdem er ihre Hand, wie ihr schien, einen winzigen Moment länger als nötig festgehalten hatte, sah er sich erneut um.
    »Claire, also Ihre Großmutter,

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