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Die verlorene Koenigin

Die verlorene Koenigin

Titel: Die verlorene Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frewin Jones
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ein kaum merkliches Zittern des Stoffs, ein Pendeln der Seilenden und ein warmer Lufthauch auf Tanias Gesicht. Doch schon bald knarrte und ächzte das Schiff, die Segel blähten sich, das Holz erbebte. Tania wurden die Haare ins Gesicht geweht, bis sie sie schließlich nach hinten weghalten und die Augen im Wind zusammenkneifen musste.
    Zaras Spiel wurde lauter und lauter, bis es in einem hohen Triller endete. Der Mond spiegelte sich schimmernd als zerbrochene Scheibe im Meer, rings umher tanzten unzählige Sterne wie weiße Feuerpunkte auf dem schwarzen Wasser. Tania beugte sich weit über die Reling und betrachtete das schwarze Wasser, das der Bug gichtsprühend zerteilte.
    »Sei gegrüßt, meine geliebte Schwester.«
    Tania drehte sich um und sah Eden, deren schlohweißes Haar im Wind flatterte. Die tiefen Sorgenfalten im Gesicht ihrer Schwester schienen sich seit ihrem letzten Treffen etwas geglättet zu haben.
    »Ich glaube, wir sind kurz davor, Titania zu finden«, erzählte Tania ihr.
    »All meine Hoffnung ruht auf diesem Wiedersehen«, sagte Eden. Ihre Stimme klang ruhig, aber Tania wusste, dass von ihnen allen Eden diese Mission am meisten zu Herzen ging, denn sie selbst war es gewesen, die Titania durch das Pirolglas in die Welt der Sterblichen geschickt hatte.
    Oberon stieg die Stufen zum Vorderdeck hinauf.
    »Eden?«, rief er. »Sollen wir der Windseglerin Flügel verleihen?«
    »Ja, Vater.« Eden drückte Tanias Arm und ging zum König hinüber.
    »Was geht hier vor?«, fragte Tania Sancha. Das Schiff bewegte sich bereits mit geblähten Segeln in dem von Zara herbeigezauberten Wind.
    Sancha lächelte. »Das wirst du gleich sehen.«
    Oberon und Eden stellten sich nebeneinander in die Mitte des Decks, die Köpfe hoch erhoben. In ihren tiefblauen Augen spiegelte sich der Mond. Langsam und in vollkommenem Gleichklang hoben sie die Arme, die Handflächen nach oben gewandt, die Finger weit gespreizt.
    Und noch während sie dies taten, vernahm Tania die Stimmen der beiden, die zu einem langsamen, faszinierenden Singsang verschmolzen:
    Heil’ger Mond, reich gesegnet, viel geliebt,
Mond, der durch die finsterste Nacht wandert,
Mond der Reisenden, Mond der Träumer,
sternenbeschienener Herrscher der Zeit,
sing deine Lieder, die von Ewigkeit künden,
erträum dir die Straßen, die geradeaus führ’n!
Hör gut zu, sternenhell ruft die Stille übers Meer:
Weise uns den Weg nach Ynis Logri s – zur Insel,
wo die Hoffnung nie schwindet.
Führ unsere Schritte in das Land, das niemals schläft.
Geleite uns zu dem Eiland,
wo Liebende sich für immer vereinen,
nach Ynis Logris, der Insel unserer Freude.
    Tania war so gefesselt von dem feierlichen Gesang, dass sie erst nach einigen Minuten registrierte, wie sich das Deck unter ihren Füßen hob: Sie musste sich an der Reling festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
    Es war, als würde das Schiff auf einer riesigen, langsam rollenden Welle reite n – doch ganz bestimmt gab es keine Welle, die so hoch aufragte. Sicher würde bald der höchste Punkt erreicht sein, dem unausweichlich ein Sturz in die Tiefe folgen würde.
    Die Lords und Ladys auf dem Unterdeck waren still geworden. Seeleute hingen Ausschau haltend in der Takelage.
    Verwirrt blickte Tania über die Reling. Das Schiff erhob sich mit dem Bug voran aus dem Meer. Wasser strömte schäumend und wirbelnd an dem großen, silbernen Rumpf hinab, der sich höher und höher aufbäumte.
    Mit offenem Mund und aufgerissenen Augen klammerte sich Tania fest, als schließlich auch der Kiel aus dem Wasser herauskam. Tropfen perlten von den gebogenen Holzbalken, während das Schiff weiter und weiter gen Himmel stieg. Tania hörte überall »Ah’s« und »Oh’s«, als der Horizont unter ihr immer tiefer abfiel. Das sich entfernende Meer ähnelte jetzt einer schwarzen Fläche aus gehämmertem Eisen. Immer höher stieg die Galeone in den sternenübersäten Nachthimmel hinauf, bis das Schiff schließlich wendete und direkt auf den runden Mond zusteuerte. War dieser bereits zuvor riesengroß erschienen, so hatte er jetzt nahezu gigantische Ausmaße. Von Sekunde zu Sekunde wurde sein Licht heller. Starr vor Staunen, hielt sich Tania an der Reling fest, während der Mond wuchs, bis er den ganzen Himmel auszufüllen schien. Zu guter Letzt musste sie sich einen Arm vors Gesicht halten und die Augen schließen, so sehr blendete sie sein gleißendes Licht.
    Wenige Augenblicke später erklang in ihrer Nähe Sanchas Stimme.

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