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Die verlorene Koenigin

Die verlorene Koenigin

Titel: Die verlorene Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frewin Jones
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keine hölzernen Dielen mehr spürte, sondern knirschende Kieselsteine, die sich bei jedem Schritt bewegten. Möbel, Wände und Decke waren verschwunden, hinter der Tür lag ein lang gezogener Strand, der im Licht des riesigen Vollmondes schimmerte.
    »Zum ersten Mal seit der Zeit der Großen Dämmerung hat der König heute diese Pforte geöffnet«, sagte Zara. »Sieh mal, dort drüben: Die Wolkenseglerin hat schon die Segel gesetzt. Beliebt es dir, an Bord zu gehen, oder möchtest du noch länger mit offenem Mund herumstehen?«
    Vor ihnen fiel das Kieselsteinufer flach zum schäumenden Meer hin ab. Ein kleines Ruderboot lag am Strand im Wasser, und daneben stand ein Mann in Uniform, welche die Farbe des Sommerhimmels hatte. Die Wogen umspielten seine Stiefel.
    Doch das kleine Ruderboot hielt Tanias Aufmerksamkeit nicht lange gefange n – etwas weit Erstaunlicheres raubte ihr den Atem: Eine dreimastige Galeone ankerte vor ihnen in der wogenden See. Die Planken, Balken, Seile, Mastbäume und Rundhölzer, die Segel, die Takelage, die Decks, der Bug und der tiefe, breite, gebogene Kiel glänzten silbrig weiß, als hätte jemand das Mondlicht eingefangen und alles auf dem Schiff damit durchtränkt; so warf das Schiff seinen glitzernden Schein auf das dunkle Wasser, das gegen den Schiffsrumpf plätscherte.
    »Sieh nur, die Wolkenseglerin !«, flüsterte Zara dicht an Tanias Ohr. »Fünfhundert Jahre lang lag sie in einem kalten Hafen fest, aber heute Nacht wird sie über den Mond hinweg zur Insel Logris fliegen.«
    Hand in Hand gingen sie über den knirschenden Kieselstrand zum Meer hinab und traten ins Wasser, wobei die plätschernden Wellen die Steinchen unter ihren Füßen wegsaugten, mit einem Geräusch, das wie fernes, helles Gelächter klang. Schaumkronen bedeckten die vom Meer rund geschliffenen Steine.
    Der wartende Mann verneigte sich tief und half ihnen in das kleine Ruderboot. Gemeinsam setzten sie sich ans Heck, während der Mann das Boot vom Strand wegschob und an Bord sprang. Er stieß es mit einem Ruder weiter vom Ufer ab, dann setzte er sich und begann mit langen, kräftigen Armbewegungen zu rudern.
    Es dauerte nicht lange, bis sie die Seite des hoch aufragenden Silberschiffes erreichten. Das Ruderboot stieß sanft gegen den Holzrumpf, während der Rudermann nach einem Tau griff, das vom Deck herabhing. Zara stand auf und stützte sich auf der Schulter des Mannes ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Viele weitere Seile hingen an der Schiffsseite herab, einschließlich einer langen Schlaufe, an der eine kleine Holzplattform befestigt war.
    Zara stieg vom Seitenrand des Boots auf die kleine Holzplattform und hielt sich mit beiden Händen an dem Seil fest.
    »Hau ruck!«, rief der Ruderer, und Tania sah zu, wie ihre Schwester hinaufgehievt wurde.
    Kurze Zeit später musste Tania bereits den Hals recken, um zu sehen, wie man Zara aufs Schiff half. Die Schlinge wurde wieder herabgelassen. Der Ruderer zeigte mit einem Kopfnicken auf die Holzplattform.
    Das Boot wippte und schlingerte, als Tania auf den Bootsrand trat, während sie mit einer Hand die Röcke raffte. Der Ruderer stützte sie am Arm, als sich plötzlich ein Spalt zwischen Boot und Schiff auftat. Doch einen Augenblick später drückten die Wellen das Boot wieder nach vorne und Tania konnte jetzt mühelos auf die Plattform steigen.
    Sie klammerte sich mit beiden Händen am Seil fest, während man sie hinaufzog. Dabei blickte sie zum Ufer hinüber: Weiter hinten ging der Kieselstrand in grasbewachsene Dünen über, und dahinter erstreckten sich, soweit das Auge reichte, sanfte grün-braune Hügel.
    Tania erkannte, dass das Schiff in einer breiten Bucht ankerte, auf beiden Seiten eingeschlossen von geschwungenen dunklen Landzungen. Zu ihrer Linken berührte ein schwarzer Finger den Bogen der Bucht, bedeckt mit einer Flammenzunge, fern, aber so hell funkelnd wie ein Juwel am dunklen Horizont.
    »Gebt mir Eure Hand, Prinzessin.« Sie war nun auf Höhe des Decks. Ein Matrose erwartete sie. Er trug ein cremefarbenes Hemd und himmelblaue Hosen, dazu hohe Lederstiefel. Tania ergriff seine Hand und trat an Bord des Schiffes.
    Aus der Elfenschar, die sich an Deck versammelt hatte, kam eine vertraute Stimme.
    »Willkommen! Herzlich willkommen, meine Tochter! Welch unerwartete Freude!«
    König Oberon trat vor und schloss sie in die Arme. Er war von Kopf bis Fuß in Weiß gekleidet und in die Falten seines gefütterten Wamses waren Diamanten genäht,

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