Die verlorene Koenigin
Stimme. »Und das kann dazu führen, dass du niedergeschlagen und pessimistisch bist und dich zurückziehst. Das sind Tendenzen, mit denen du lernen musst umzugehen.«
»Niedergeschlagen? Ich?«, rief Jade. »Das stimmt ja wohl überhaupt nicht.«
»Es liegt auch in deinem Wesen, diese negativen Züge zu verbergen«, fuhr die Frau fort. »Du hältst sie geheim. Ich sehe viel e …«
Die hohe, dünne Stimme verstummte.
»Ja?«, fragte Jade. »Was sehen Sie?«
Eine lange Pause entstand. Tania blickte die Frau an, die wiederum mit verwirrter Miene auf Jades Hand starrte.
»Wovon sehen Sie viele?«, hakte Jade nach.
Die Frau schien aus einer Art Trance zu erwachen. Sie blickte Jade an. »Viele Geheimnisse«, sagte sie. »Aber nicht alle diese Geheimnisse gehören wirklich zu dir, sondern zum Teil sind es Geheimnisse, die ein Freund oder eine Freundin vor dir verbirgt. Du hast einen Freund oder eine Freundin mit einem Geheimnis. Einem großen Geheimnis.«
»Echt?« In Jades Stimme lag große Neugier. »Wer ist es? Um welche Art Geheimnis handelt es sich?«
Die Frau senkte den Kopf und schloss die Augen. Tania konnte sehen, wie sich ihre Augen unter den dünnen Lidern bewegten.
»Das ist nicht klar«, sagte die Frau, und jetzt meinte Tania, ein leichtes Unbehagen aus ihrer Stimme herauszuhören. »Es ist alles sehr wir r … aber hinter diesem Freund oder dieser Freundin verbirgt sich viel mehr, als du dir auch nur im Entferntesten vorstellen kannst.«
Tania erschrak und schluckte schwer. Sprach diese verrückte Wahrsagerin etwa von ihr?
»Nein!«, rief die Frau plötzlich, lehnte sich zurück und ließ Jades Hand los. »Das ist alles. Mehr kann ich nicht sehen.«
Jade blickte stirnrunzelnd auf ihre Hand. »Ich wollte aber doch noch so gern wissen, ob ich in den Ferien jemanden kennenlerne«, sagte sie. »Haben Sie denn gar keine süßen Jungs gesehen?«
Die Frau lächelte schmallippig. »Davon wird es in deiner Zukunft jede Menge geben, meine Liebe«, sagte sie. »Dazu muss man keine Wahrsagerin sein, um das vorherzusehen.«
Jade grinste Tania an. »Du bist dran!«
»Ach, lieber nicht«, sagte Tania. Doch Jade akzeptierte kein Nein, und da Tania keine Lust hatte, sich mit ihr zu streiten und dadurch nur noch länger in dem stickigen, engen Loch sitzen zu müssen, tauschten sie die Plätze, und Tania nahm gegenüber der Wahrsagerin Platz.
»Sie ist im gleichen Jahr geboren wie ich und sie hat am 13 . Juni Geburtstag«, erzählte Jade der Frau, während sie sich auf den zweiten Stuhl setzte.
»Ah«, sagte die Frau. »Ein Zwilling. Eine Frau mit zwei Seite n – immer unzufrieden.« Sie langte über den Tisch; widerstrebend streckte Tania der Wahrsagerin ihre Hand mit der Innenfläche nach oben entgegen.
Die Frau nickte. »Die Rosen, die du pflückst, sind nie so schön wie die in Nachbars Garten«, sagte sie. »Aber du glaubst, die fremden Rosen selbst seien daran schuld, dass du sie nie erreichen kannst, weil sie so hartnäckig außerhalb deiner Reichweite blühen. Du merkst nicht, dass es nur an dir liegt, sie zu fassen.«
»Das würde ich nicht sagen«, meinte Tania leichthin. Sie war wild entschlossen, das Ganze nicht ernst zu nehmen. Außerdem verstand sie nicht, was die Frau ihr mitteilen wollte.
Die Wahrsagerin blickte ihr einen Moment lang in die Augen, und Tania spürte, wie ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief.
»Nein?«, fragte die Frau. »Na ja, vielleicht auch nicht. Wie du meinst.« Sie konzentrierte sich wieder auf Tanias Hand. »Dein Element ist ebenfalls das Metal l – aber da ist noch etwas, das ich allerdings nicht richtig erkennen kann. Du fühlst dich nicht wohl mit der metallverwandten Seite deiner Seele, sie bereitet dir Schmerzen. Sie verwirrt dich. Die Zweiheit deines Wesens zieht dich in verschiedene Richtungen. Du bist völlig unsicher, wer du bist und woher du kommst.«
Die Augen der Frau schlossen sich, ihre Lider flatterten, schließlich senkte sie die Stimme zu einem Flüstern. »Dein Bild ist verschwomme n … Es kommt und geh t … Du machst einen Schritt und verschwindes t … Du machst wieder einen und kehrst zurüc k … Das verstehe ich nicht.«
Tief erschrocken versuchte Tania, ihre Hand wegzuziehen. Aber sie konnte sich nicht bewegen. Es kam ihr vor, als wäre jede ihrer Muskelfasern gelähmt: Ihre Hand lag schwer in den Handflächen der dürren Frau, ihr Oberkörper lehnte steif und starr über dem schwarzen Tisch.
Entsetzen stieg in ihr auf. Sie
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