Die verlorene Koenigin
leblos scheinendem Körper. Das Stück hatte seinen tragischen Höhepunkt erreicht und beide waren to t – Romeo hatte Gift getrunken und Julia hatte sich mit einem Dolch erstochen. Tania lauschte für einen Moment in die Totenstille hinein, die auf die Schlussrede des Prinzen folgte, aber als der Applaus durch den ausverkauften Saal brandete, musste sie unwillkürlich grinsen.
Sie öffnete ein Auge und sah, wie die roten Samtvorhänge sich vor der Bühne schlossen. Die Zuschauer konnte sie zwar jetzt nicht mehr sehen, der Applaus und die Bravorufe aber drangen ungedämpft zu ihr.
Alle Darsteller rappelten sich hastig auf, um von der Bühne zu gehen. Mr s Wiseman, die zwischen den Kulissen stand, bedeutete ihnen, sich zu beeilen. »Großartig!«, rief sie. Dabei strahlte sie über das ganze Gesicht. »Ihr wart alle fabelhaft!«
Die nächsten Minuten schienen Tania so langsam zu verstreichen wie unter einer Glasglocke. Sie nahm wahr, dass sie mit den anderen Schauspielern dicht gedrängt an der Seite der Bühne stand. Sie hielt Edrics Hand. Tanias Herz klopfte, das Blut rauschte in ihren Ohren. Ein Darsteller nach dem andern lief hinaus, um sich zu verbeugen.
Dann bekam Tania einen leichten Stoß in den Rücken und lief mit Edric in die Mitte der leeren Bühne. Das gesamte Publikum stand auf, jubelte, klatschte und pfiff. Tania und Edric verbeugten sich tief. Dann gesellten sich die restlichen Mitwirkenden zu ihnen und alle stellten sich in einer Reihe auf. Sie fassten einander an den Händen, um sich noch einmal zu verbeugen. Dann fiel der Vorhang.
Die Bühnenlichter erloschen. Allmählich erstarb der Applaus, bis nur noch einige wenige Pfiffe und Rufe erklangen. Man hörte, wie die Leute aufstanden und sich zum Gehen wandten. Aufgeregtes Stimmengewirr drang durch den Vorhang.
»Das war wunderbar«, sagte Mr s Wiseman. »Ich bin so stolz auf euch! Ihr habt sehr hart gearbeitet.«
Ein großes Durcheinander entstand, als alle Mitwirkenden an den Kulissen vorbeiströmten und über die hintere Treppe zum Keller liefen, wo sie sich in einem Lagerraum umziehen konnten. Ein behelfsmäßiger Paravent war aufgestellt worden, um die Jungs von den Mädchen zu trennen. Noch völlig berauscht stieg Tania aus ihrem Kleid und zog ihre Alltagskleidung an.
Auf einem Tisch standen Getränke. Tania nahm einen großen Schluck Orangensaft. Auf der anderen Seite des Raums sah sie Edric stehen, der sich gerade mit ein paar anderen Darstellern unterhielt.
Als er merkte, dass sie ihn beobachtete, grinste er, winkte und formte mit seinen Lippen die Worte: »Bin gleich bei dir.« Sie nickte überglücklich.
Der Schulleiter kam, um ihnen allen zu gratulieren. Mr s Wiseman schwirrte zwischen den Mitwirkenden herum, um sich nochmals bei allen zu bedanken.
»Kommst du mit uns allen zum Pizzaessen?«, wurde Tania gefragt.
»Ja, natürlich. In einer Minute bin ich da.« Sie musste vorher noch ihre Eltern finden, die ihn der dritten Reihe gesessen hatten. Tania hatte die beiden schon ziemlich früh bemerkt, es dann aber bewusst vermieden, in diesen Teil des Zuschauerraums zu blicken, um ihre Eltern auszublenden. ›Theaterspielen‹ und ›Eltern‹ passten einfach nicht zusammen; ihre Anwesenheit machte sie nur befangen.
Tania schlängelte sich langsam durch die lebhafte Menge, um dann in den Korridor zu flitzen. Auch dort standen überall Menschentraube n – Schüler mit ihren Eltern, Besucher, Lehrer, Schulbeirät e –, alle kommentierten sie begeistert die Aufführung. »Du warst hervorragend, Anita!«
»Vielen Dank, Mr s Taylor.«
Sie entdeckte ihre Eltern, die durch den Gang auf sie zukamen.
»Ein Star ist geboren!«, rief ihr Vater und breitete die Arme aus, als sie auf ihn zurannte.
»Hat es euch gefallen?«, fragte sie, während ihre Eltern sie in die Arme schlossen.
»Es war atemberaubend«, sagte ihre Mutter.
Tania strahlte. »Die anderen gehen zusammen Pizza essen. Ich habe gesagt, dass ich mitkomme.«
Ihre Eltern antworteten nicht und Tanias Lächeln gefror. »Was ist los?«
»Kommt Evan auch mit?«, fragte ihre Mutter.
Tania lachte überrascht auf. »Das glaube ich schon«, sagte sie. »Romeo werden sie ja wohl kaum zurücklassen. Er ist nämlich nicht wirklich tot, müsst ihr wissen. Das war nur gespielt.«
»Dann wäre es uns aber lieber, wenn du mit uns kommst«, sagte ihre Mutter, ohne auf Tanias Scherz einzugehen.
Tania starrte sie an. Sie sollte die Premierenfeier verpassen? Das war wohl ein Witz.
»Wir
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