Die verlorene Koenigin
und war mit Kalk verputzt, der weiß im Sonnenlicht glänzte. Es stand mitten in einem Komplex kleinerer Gebäude, in denen sich Läden, Cafés und Restaurants befanden. Ein überdachtes Backsteingebäude beherbergte ein Besucherzentrum, das im Winter und bei schlechter Witterung als Theatersaal diente.
»Hier entlang, bleibt bitte zusammen«, rief Mr s Wiseman und führte sie entlang des Flusses zum Ausstellungszentrum. Die Globe-Ausstellung erstreckte sich über zwei Stockwerke, mit großen Bildschirmen, auf denen Filmausschnitte und Dokumentationen zu sehen waren. Hier wurden die Aufgaben der Schauspieler und Musiker zu Zeiten Elisabeths im Vergleich zu heute erklärt.
Nachdem sie einmal gemeinsam durch die gesamte Ausstellung gegangen waren, erlaubte Mr s Wiseman ihnen, sich in kleine Grüppchen aufzuteilen und auf eigene Faust loszuziehen.
»Komm, gehen wir uns mal das Freiluftheater ansehen!«, schlug Edric Tania vor.
Sie nickte und die beiden bahnten sich einen Weg zum Eingangsfoyer. Sie schoben die schweren Glastüren auf und gingen die Treppe hinauf, die zu den Cafés und einem großen Platz vor der Freiluftbühne führte.
»Ach, wie schön, endlich ein bisschen alleine unterwegs zu sein«, seufzte Tania, als sie einen der äußeren Treppentürme hinaufstiegen, der zu den erhöhten Sitzreihen führte. »Was für ein toller Ort.« Sie betraten den mittleren Rang und liefen dann quer durch die kreisförmig angelegten, gepolsterten Sitzreihen hinunter zur Holzbalustrade.
Von hier aus hatten sie einen guten Blick auf die runde, nicht überdachte Zuschauerfläche. Zwei dicke Säulen standen rechts und links von der rechteckigen Bühne und trugen ein flaches Dach, auf dem ein reetgedeckter Giebel saß. Alles auf der Bühne bestand aus bemaltem Holz, das Marmor und Stein imitieren sollte; das geschnitzte Eichenholz war dunkel gefärbt, in Grau, Braun, Waldgrün und dunklem Rotbraun. Über der Bühne befand sich ein lang gezogener Balkon für die Musiker und Schauspiele r – Tania stellte sich vor, dass Julia sich just von diesem Balkon hinunterbeugt, als sie Romeos Stimme in der Nacht des ersten romantischen Treffens vernimmt.
Doch dann dachte Tania nicht mehr an das Schultheater, denn sie hatte andere Dinge im Kopf.
»Titania muss in dem Lexus gesessen haben«, sagte sie zu Edric. »Weißt du, wie teuer solche Autos sind?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe gar nicht versucht, mir Titania vorzustellen, wie sie jetzt ist. Aber ich habe wohl geglaubt, sie lebt in einem alten Haus wie Miss Havisham in Große Erwartungen , ganz allein und vielleicht auch ein bisschen verrückt, in königliche Gewänder gehüllt, die in all den Jahren von Motten zerfressen wurden und vom vielen Tragen zerschlissen sind. Ich habe mir jedenfalls nie vorgestellt, dass sie von einem Chauffeur in einer Luxuslimousine durch London kutschiert wird.«
Edric lächelte sie an und stützte einen Ellbogen auf die Holzbalustrade. »Sie ist eine Königin, Tania«, sagte er. »Die Tochter eines uralten Elfengeschlechtes. Sie sitzt nicht in abgetragenen Strickjacken herum, trinkt Tee aus einer gesprungenen Tasse und sieht sich Frühstücksfernsehen an.«
»Nein, offenbar nicht.« Tania richtete sich auf und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Wir gehen besser langsam zum Treffpunkt.« Sie legte die Hand auf seinen Arm. »Wir hatten ja entschieden, dass wir erst weiter nachforschen wollten, wenn ich aus Florida zurück bin, aber unter diesen Umständen kann ich nicht so lange warten.«
Er sah sie fragend an. »Und nun?«
»Ich werde Samstag außer Haus sein«, sagte sie. »Ich sage Mum und Dad, dass ich vor dem Urlaub noch mal shoppen gehen muss. Wenn ich etwas in Richmond kaufe, ist das ja nicht gelogen.«
»Und diesmal halten wir die Augen nach einem schwarzen Lexus offen«, sagte Edric.
Sie suchten sich einen Weg zurück an den Sitzreihen vorbei und erreichten die Treppe, die auf den Vorplatz hinausführte.
Auf halbem Weg blieb Tania stehen, um Edric zu fragen, ob es solche Theater auch im Elfenreich gab. Als sie jedoch den Kopf wandte, begann sich die Welt um sie herum zu drehen. Dinge verzerrten sich und kippten weg, die Konturen zerflossen, als seien sie mit Wasserfarbe gemalt und auf einmal nass geworden. Tania tastete blindlings nach dem Treppengeländer, während sie die sich hin- und herbewegenden Stufen hinunterstolperte.
Vage nahm sie Edrics Gesicht wah r – ein bleicher Fleck, der Mund darin ein dunkler Kreis, der
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