Die verlorene Koenigin
machst, außer dich mit Evan zu treffen. Kleb nicht so sehr an ihm. Triff dich auch noch mit anderen Leuten. Unternimm andere Sachen.«
»Und mach deine Schularbeit für den Sommer ordentlich«, ergänzte ihr Vater.
»Das werde ich beherzigen«, versprach Tania. »Ich tue alles, was ihr wollt. Heißt das, ich darf ihn sehen?«
»Ja«, sagte ihre Mutter. »Aber nicht mehr heute! Das Ausgehverbot steht.«
»Danke! Vielen, vielen Dank!« Tania sprang schnell die Stufen hoch, um Edric anzurufen und ihm die guten Neuigkeiten mitzuteilen.
Keine Heimlichtuerei mehr hinter dem Rücken ihrer Eltern! Keine Lügen mehr darüber, wo sie hinging und mit wem sie sich traf!
Sie rannte in ihr Zimmer.
Es kam ihr so vor, als würde sie geradewegs in ein Minenfeld laufen. Sie prallte gegen eine flammende, pechschwarze Macht, so undurchdringlich wie eine Mauer und so stark wie eine riesige geballte Faust. Durch die Wucht des Aufpralls wurde Tania der Boden unter den Füßen weggerissen und sie sauste rücklings durch die Luft.
Sie keuchte, die Luft wurde ihr aus den Lungen gepresst, als sie auf den Teppich stürzte. Die Dunkelheit schoss über sie hinweg wie eine Lawine, drückte sie zu Boden, machte sie blind, verschloss Ohren, Nase und Mund und sandte bernsteinfarbene Lichtranken aus, die ihre Augen entzündeten und ihre Gedanken versengten.
Dann hatte sie das Gefühl, sie fiele durch die Finsternis in einen bodenlosen schwarzen Abgrund.
Und dan n … war alles vorbei.
X
A ls Tania erwachte, fühlte sie sich seltsam klar im Kopf. Sie wunderte sich, warum sie flach auf dem Rücken in ihrem Zimmer auf dem Teppich lag. Die Tür stand auf, und obwohl es dunkel im Zimmer war, fiel Licht durch einen schmalen Spalt aus dem Flur herein. Tania setzte sich auf und sah sich blinzelnd um. Warum lag sie auf dem Boden? Und was war das für ein schrecklicher Geschmack im Mund? Er erinnerte a n … rostiges Eisen. Igitt!
Sie stand auf. Ihre Armbanduhr zeigte fünf vor halb zwölf. Als sie aus dem Elfenreich zurückgekommen war, war es Viertel nach elf gewesen. Sie war hinuntergegangen, um mit ihren Eltern zu sprechen, und anschließend war sie in ihr Zimmer gerannt, um Edric telefonisch die guten Neuigkeiten mitzuteilen. Und jetzt war sie plötzlich auf dem Boden aufgewacht.
Seltsam. Sie musste ohnmächtig geworden sein.
Sie verzog das Gesicht. Immer noch dieser eklige Eisengeschmack.
Sie knipste das Licht an und schloss die Tür. Im vorderen Fach ihrer Umhängetasche fand sie eine Packung Pfefferminzdrops. Sie lutschte eines, nahm ihr Handy und trat zum Fenster. Während sie in den graublauen wolkigen Nachthimmel hinausblickte, wählte sie schnell Edrics Nummer.
Als sie seine Stimme hörte, hatte das Pfefferminzbonbon den Eisengeschmack aus ihrem Mund schon vollkommen verdrängt.
Am darauffolgenden Vormittag prasselte der Regen in Sturzbächen auf die gewundene George Street, sammelte sich in zischenden Pfützen tanzender Wassertropfen und schoss gurgelnd die Rinnsteine entlang. Das Wasser prallte von Karosserien und Regenschirmen ab, sodass die Fußgänger sich eilig in Ladeneingänge flüchteten.
Tania störten die Regengüsse nicht. Sie rannte mit Edric Hand in Hand über den Bürgersteig, dass das Regenwasser nur so nach allen Seiten spritzte.
»Es soll nur ordentlich gießen!«, rief sie. »Heute kann mich nichts erschüttern!«
»Ihr Katarakt’ und Wolkenbrüche, speit« , sprach Edric mit klagender Stimme gen Himmel. »Bis ihr die Türm’ ersäuft und Wetterhähn’ ertränkt!«
»Was ist das für ein Zitat?«, fragte Tania.
» König Lear , dritter Akt, zweite Szene. Der Gewittersturm.«
»Gibt es eigentlich was von Shakespeare, das du nicht kennst?«
Edric grinste sie an. »Nicht viel. Habe ich das noch gar nicht erzählt? Shakespeare hatte auch Elfenblut in sich.«
»Echt?«
Er nickte. »Echt!«
»Wow!«
Sie kamen zu der Kreuzung, wo die George Street auf die Hill Street traf. Das Postamt lag direkt an der Ecke. Nur ein kleines Stückchen weiter die Straße hinunter war die Sandwichbar, direkt am Kreisverkehr, von dem aus es zur Richmond Bridge ging.
Inzwischen hatte der Regen etwas nachgelassen. Die dunklen Wolken wurden von einer helleren Wolkenfront abgelöst, die perlmuttfarben schimmerte.
»Die Regenschnüre sind wie die Saiten einer Harfe«, meinte Tania mit Blick auf die weiße Steinbrücke. »Millionen Harfensaiten, die zwischen Himmel und Erde gespannt sind. Gibt es im Elfenreich eigentlich auch
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