Die verlorene Koenigin
waren von hohen Pappeln und Liguster-, Fuchsien- und Eibenhecken umrahmt. Die Häuser waren aus warmem braunem Backstein, hatten Balkons, Erker und große Fenster mit weißen Rahmen.
Auf der Straße herrschte dichter Verkehr. Eine niedrige Backsteinmauer begrenzte die Baumreihen. Zwischen den Büschen ragte ein Schild hervor, auf dem stand:
Dover Court
Park Lane
Hampton Wick
Kingston-Upon-Thames
Wenn Sancha Recht hatte, gehörte Lilith Mariner die Eigentumswohnung Nummer sieben in diesem Haus.
Sie befanden sich in der Nähe des Hampton Court Palace, der sich allerdings in keiner Weise mit dem Königspalast im Elfenreich messen konnte. Um die Grauen Ritter abzuschütteln, hatten sie eine wahre Odyssee auf sich genommen: Nachdem sie glücklich den U-Bahnhof erreicht hatten, waren sie mit dem erstbesten Zug nach Norden gefahren und dabei unterwegs drei- oder viermal umgestiegen. Sie hatten von der District Line zur Piccadilly Line und von dort zur Northern Line gewechselt, dann waren sie in die entgegengesetzte Richtung gefahren, zum Südufer der Themse in Richtung Waterloo. Dort hatten sie schließlich eine S-Bahn nach Hampton Wick genommen und waren nur fünf Minuten von hier entfernt ausgestiegen.
»Fürwahr, ein großes Anwesen«, sagte Sancha. »Es ist eine würdige Residenz für eine Elfenkönigin.«
»Ihr gehört aber nicht alles«, erklärte Tania, »sondern nur ein Apartment.«
Sancha warf ihr einen verwirrten Blick zu. »Ein Apartment?«
»Lilith Mariner bewohnt vermutlich nur ein paar Räume in einem Teil des Gebäudekomplexes«, erklärte Edric. »Der Rest gehört anderen Leuten.«
»Leben dort ihre Diener, Kammerfrauen und Höflinge?«
»Nein, niemand hier hat heutzutage noch Bedienstete«, sagte Tania. »Zumindest glaube ich das. Lasst uns rübergehen und nachsehen, ob sie schon wieder zu Hause ist.«
»Und wenn nicht?«, wollte Zara wissen.
»Dann hinterlassen wir ihr eine Nachricht«, sagte Edric.
»Und vertrauen darauf, dass ihre Antwort uns schneller erreicht als die Rösser von Lyonesse«, ergänzte Sancha leise. Sie wandte sich an Cordelia, die etwas abseits stand und die schwarzen Eisenstangen eines Tors umklammert hielt, das in die Wand hinter ihnen eingelassen war. »Cordelia? Komm, wir brechen auf!«
Sie riss sich widerstrebend los und Tania bemerkte glitzernde Tränenspuren auf ihren sommersprossigen Wangen.
»Cordie? Was ist los?« Tania spähte durch das filigran gearbeitete, dekorativ gezwirbelte Eisentor und erblickte eine große, von Wegen durchzogene Rasenfläche, auf der vereinzelt schlanke Bäume standen. »Das ist Bushy Park«, sagte Tania. »Warum weinst du?«
Cordelia wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. »Erkennt ihr denn gar nicht, wo wir sind? Im Elfenreich stand auf eben diesem Grund und Boden die Menagerie. Hier kümmerte ich mich um die Hunde und umsorgte die Tiere, die sich in meine Obhut begaben: Otter, Schwäne, Rehe, Einhörner und Raben. Ich pflegte alle heimatlosen Geschöpfe des Elfenreichs.« Sie wandte das Gesicht ab. »Ich ertrage es nicht«, sagte sie leise. »Schmutz und Lärm beherrschen die Welt der Sterblichen und lassen kaum eine Erinnerung an das Elfenreich aufkommen. Hier jedoch, wo ein kleines Stückchen Natur, eingepfercht zwischen Beton und Eisen, überleben darf, da schimmert mein Zuhause durch. Und das versetzt mir einen Stich ins Herz.«
Zara warf einen Blick zu Dover Court hinüber. »Seltsam, dass unsere Mutter genau diesen Ort als Zuhause erwählt hat«, meinte sie nachdenklich. »So nahe der Heimat und doch so weit entfernt.«
Sie überquerten die Straße und gingen durch eine Lücke in dem niedrigen Mäuerchen, das Dover Court umgab. Hier führten Stufen in einen schönen Garten hinab, der von Sträuchern und blühenden Pflanzen gesäumt war und in dem Holzbänke und ein Steinbrunnen standen. Die dichte Bepflanzung dämpfte den Verkehrslärm.
Sie wanderten durch den Garten und kamen zum Haupteingang des Komplexes. Die Tür war weiß mit mattierten Glasscheiben.
Edric drückte dagegen. »Verschlossen«, sagte er.
Tania stand seitlich vom Eingang und ließ ihren Zeigefinger über eine Reihe Klingelschilder auf der Messingplatte einer Gegensprechanlage wandern.
Nummer 7. L. Mariner
Sie drückte auf den Klingelknopf.
Ein elektronisches Summen drang aus dem vergitterten Schlitz über der Gegensprechanlage.
»Ja, bitte?«, ertönte eine raue Stimme. Es war eine Frau, aber mehr konnte man nicht erkennen.
»Ms
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