Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
aus dem Krieg ausschied. Gegenüber Macdonald erklärte Yorck, er sei von den Russen abgeschnitten worden. Tatsächlich war der preußische Generalleutnant den Russen überlegen und hätte die ziemlich dünne Linie durchbrechen können, wovon Macdonald aber nichts wußte. Der Marschall begriff sofort, daß den Preußen diese Situation nur allzu gelegen kam; seine Generale hatten ihn schon seit Tagen vor der Unzuverlässigkeit der Preußen gewarnt. Doch der redliche Macdonald, Ehrenmann durch und durch, hielt einen solchen Verrat für unmöglich, seine militärische Lage war, solange ihm die Preußen blieben, günstig, und die ihm gegenüberstehenden Russen konnten ihn nicht ernsthaft bedrohen. Der Verlust der preußischen Regimenter aber zwang nun auch ihn zum Rückzug. Leutnant Wilhelm von Eberhardt schreibt am 15. Januar 1813 an seine Mutter: »Wir kämpften nicht mit dem Feinde, sondern mit der Natur, mit Frost, mit Mangel an Lebensmitteln und an allen Bedürfnissen. Die anstrengendsten Märsche, oft 16 Stunden lang in der furchtbarsten Kälte, dann das Biwakieren auf tiefem Schnee, die Ungewißheit unsrer Lage, umgeben vom Feind und jeden Augenblick zum Kampf bereit, das rieb unsere Kräfte doch schließlich auf. Aber Gott beschützte uns gnädig und wendete alles ganz anders, als wir vermuteten. Unser Korps marschierte, ungehindert von den russischen Truppen, bis hierher, wo wir ausgedehnte Friedens-Kantonnierungen bezogen haben, bis zur weiteren Entscheidung.«
Verglichen mit denen der anderen Korps, waren die Verluste des 10. Armeekorps und ganz besonders der Preußen gering, denn im allgemeinen waren hier Verpflegung und Bekleidung ausreichend. Weit ungünstiger war die Lage der Sachsen (7. Korps) und Österreicher. Wie der sächsische Husar Theodor Goethe berichtet, wurde die katastrophale Lage der Hauptarmee noch kurz vor Weihnachten den Soldaten verheimlicht, um nicht die Moral der Truppe zu gefährden, die jetzt nur noch 8000 und zwei Wochen später 6000 Soldaten zählte. General Reynier zog sein Korps langsam in Richtung Warschau zurück; die weiter entfernt stehenden Österreicher besetzten den Raum um Bialystok.
Leutnant Wilhelm von Koenig, der das Glück hatte, einen Schlitten kaufen zu können, war gemeinsam mit seinem Oberstleutnant am 22. Dezember in Rosenberg bei Elbing angekommen, wo er endlich den Läusebefall loswurde: »Hier kam ich seit dem Mai, also nach vollen 7 Monaten, zum ersten Mal wieder in ein Bett, das für mich so ungewohnt war, daß ich vor Erhitzung die ganze Nacht fast kein Auge schließen konnte. Ich entledigte mich des zu meiner Qual über und über bevölkerten Hemdes und legte die in Wilna erhaltene Wäsche an. Denn ehe ich sicher darauf zählen konnte, diese Plagegeister völlig los zu sein, wechselte ich absichtlich die Wäsche nicht. Einige Tage mehr oder weniger gingen bei dieser langen Einquartierung in einem hin. Wer eine solche, und zwar in dieser bei der Kälte unmöglich zu steuernden Unzahl, nicht selbst erlebt hat, vermag sich von der Qual keinen Begriff zu machen. Gerade wenn man am Feuer warm wurde und ruhen zu können hoffte, wurde das Volk lebendig. In der Verzweiflung darüber entfernte ich mich einmal in einen Schopf (Schuppen) und kleidete mich trotz der Kälte aus. Kaum aber war dies geschehen, so wurde ich von der Kälte so starr, daß ich das Werk der massenhaften Zerstörung, daß ich beabsichtigte, aufgeben und meinen Reiter herbeirufen mußte, der mich wieder ankleidete. In Rosenberg ließ ich, wahrscheinlichjedoch nur vermeintlich, im geheimen den Backofen heizen und in diesen nach abgebranntem und entferntem Feuer meine Kleider stecken, wo diese Quälgeister mit gesamter Nachkommenschaft den an mir wohlverdienten Tod fanden.«
Diese Plage war für den Betroffenen nicht nur überaus unangenehm, sondern auch gefährlich, denn die Kleiderläuse verursachen das Fleckfieber ( typhus exanthematicus) , eine Infektionskrankheit, die von Mensch zu Mensch übertragen wird und zu schweren Organschädigungen führen kann. Es hat bei der Grande Armée, vor allem während des Rückzugs, kaum einen Soldaten gegeben, der nicht von Läusen befallen war, verursacht durch die unhygienischen Zustände, wozu auch die Unmöglichkeit gehörte, die Wäsche wechseln zu können und sich gründlich zu waschen. Von dieser Gefahr hat man damals, als man von der Entstehung von Infektionskrankheiten noch nichts wußte, keine Kenntnis gehabt.
Musikmeister Friedrich Klinkhardt
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