Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)
fiel ihr auf, dass das andere Paar gegangen war und dass nur noch sie beide in dem Restaurant saßen. »Wir sollten gehen«, sagte sie zu Jimmy. »Es ist schon spät.«
»Moment noch.«
»Aber mir ist kalt.«
»Denk nicht an die Kälte.«
»Aber Jimmy …«
»Ich versuche gerade, dir einen Heiratsantrag zu machen, Dolly.« Sie sah ihm an, dass er selbst verblüfft war. Er lachte. »Offenbar stelle ich mich ziemlich ungeschickt an … Ich habe so etwas noch nie gemacht. Und ich habe auch nicht vor, es noch einmal zu tun.« Er stand auf und kniete sich vor sie. Er holte tief Luft. »Dorothy Smitham«, sagte er feierlich. »Willst du mir die Ehre erweisen, meine Frau zu werden?«
Dolly begriff nicht, sie wartete darauf, dass er losprustete. Es konnte nur ein Scherz sein; er war derjenige gewesen, der ihr in Bournemouth gesagt hatte, sie sollten warten, bis sie genug Geld gespart hatten. Jeden Moment würde er lachen und sie fragen, ob sie einen Nachtisch bestellen wollte. Aber das tat er nicht. Er blieb vor ihr knien und schaute sie ernst an. »Jimmy?«, sagte sie. »Du kriegst gleich Frostbeulen an den Knien. Komm schon, steh auf.«
Er stand nicht auf. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, hob er die linke Hand, und sie sah, dass er einen Ring zwischen den Fingerspitzen hielt. Es war ein schmaler goldener Ring mit einem kleinen, in Krappen gefassten Stein – ein bisschen zu altmodisch, um neu zu sein, aber zu neu, um eine echte Antiquität zu sein. Jimmy hatte sogar an die Requisiten gedacht, schoss es ihr durch den Kopf. Er spielte seine Rolle wirklich gut, das musste sie ihm lassen. Sie wünschte, sie könnte dasselbe von sich behaupten, aber er hatte sie total überrumpelt.
Dolly war es nicht gewohnt, dass Jimmy Spielchen mit ihr spielte – das war ihr Terrain –, und sie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. »Ich muss mir erst die Haare waschen und darüber nachdenken«, sagte sie kokett.
Die Haare waren ihm in die Stirn gefallen, und er schüttelte sie mit einer Kopfbewegung aus den Augen. In seiner Miene lag keine Spur von einem Lächeln, als er sie einen Moment lang nachdenklich ansah. »Ich bitte dich, mich zu heiraten, Doll«, sagte er; und so offen und ehrlich, wie er die Worte vorbrachte, so ohne jede Spur von Schalk in den Augen, dämmerte es Dolly allmählich, dass er es tatsächlich ernst meinen könnte.
Sie glaubte nicht, dass er es ernst meinte. Jimmy musste beinahe lachen, als ihm das klar wurde. Aber er lachte nicht, sondern musste daran denken, wie sie ihn neulich abends mit auf ihr Zimmer genommen hatte, wie sie ihn betrachtet hatte, als ihr rotes Kleid zu Boden geglitten war und sie den Kopf gehoben hatte, um ihm in die Augen zu sehen, und wie jung und stark und lebendig er sich da gefühlt hatte, wie glücklich er gewesen war. Er dachte daran, wie er nachher nicht hatte schlafen können, vor lauter Glück darüber, dass eine junge Frau wie sie ihn liebte; wie er, als er ihr beim Träumen zugeschaut hatte, genau gewusst hatte, dass er sie immer lieben würde, bis sie alt waren, bis ihre Kinder längst erwachsen und aus dem Haus waren und sie beide gemütlich in ihren Sesseln sitzen würden bei Tee und Gebäck.
Am liebsten hätte er seine Gedanken mit ihr geteilt, damit sie alles so klar und deutlich sah wie er, aber er wusste, dass sie anders war, dass sie Überraschungen liebte und nicht schon an das Ende der Geschichte denken wollte, bevor sie richtig angefangen hatte. Stattdessen sagte er, nachdem er seine Gedanken geordnet hatte, so einfach und direkt, wie er konnte: »Ich bitte dich, mich zu heiraten, Doll. Ich bin immer noch kein reicher Mann, aber ich liebe dich, und ich möchte keinen weiteren Tag mehr ohne dich vergeuden.« Und dann hatte er gesehen, wie ihr Gesichtsausdruck sich veränderte, und daran, wie ihre Mundwinkel sich entspannten und ihre Brauen sich kaum merklich zusammenzogen, erkannte er, dass sie endlich begriff.
Dolly stieß einen tiefen Seufzer aus. Sie nahm ihren Hut, drehte ihn stirnrunzelnd in den Händen. Sie hatte eine Vorliebe für wirkungsvolle Kunstpausen, das wusste er; er war daher nicht weiter beunruhigt, als er jetzt ihr Profil betrachtete, so wie er es auf dem Hügel an der Küste getan hatte.
Als sie sagte: »Ach, Jimmy«, mit einer Stimme, die gar nicht wie die ihre klang, sah er, wie ihr eine Träne über die Wange lief. »Wie kannst du so etwas Verrücktes tun? Ausgerechnet jetzt?«
Ehe Jimmy fragen konnte, was sie meinte, rannte
Weitere Kostenlose Bücher