Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)
könnte was zum Abendessen mitbringen und eine DVD , wenn du willst.«
Laurel versuchte Zeit zu schinden, während sie fieberhaft nach einer Ausrede suchte. Es widerstrebte ihr, jemanden anzulügen, ganz besonders Rose, aber sie war einfach noch nicht so weit, über ihre Nachforschungen zu reden, erst recht nicht mit ihren Schwestern, und sich eine romantische Komödie anzusehen und mit Rose zu plaudern, während sich ihre Gedanken nur darum drehen würden, die Vergangenheit ihrer Mutter zu enträtseln.
Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, immer noch auf der Suche nach einem guten Grund, ein gemeinsames Abendessen mit Rose abzulehnen (dabei hatte sie einen Mordshunger), doch in diesem Moment fiel ihr Blick auf die majestätischen Türme der Universität …
»Lol? Bist du noch da?«
»Ja, ja, ich bin noch da.«
»Die Verbindung ist sehr schlecht. Soll ich uns was zum Abendessen kochen?«
»Nein«, erwiderte Laurel hastig, denn gerade war ihr eine Idee gekommen. »Vielen Dank, Rosie, aber heute lieber nicht. Ich rufe dich morgen an, okay?«
»Ist alles in Ordnung bei dir? Wo bist du?«
Die Verbindung wurde immer schlechter, und Laurel rief laut ins Telefon: »Alles in Ordnung, keine Sorge. Es ist nur …« Sie lächelte, als ihr Plan deutlichere Konturen annahm. »Ich werde heute Abend erst sehr spät nach Hause kommen.«
»Ach ja?«
»Es ist mir eben erst eingefallen, Rose. Ich muss noch jemanden besuchen.«
16
London, Januar 1941
D ie letzten vierzehn Tage waren furchtbar gewesen, und Dolly gab Jimmy daran die Schuld. Er hatte alles verdorben mit seiner Ungeduld! Sie hatte mit ihm darüber reden wollen, dass es besser sei, noch ein wenig vorsichtig zu sein, und ausgerechnet da hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht. Eine Kluft hatte sich in ihr aufgetan, die sich nicht wieder schließen wollte. Auf der einen Seite der Kluft stand Dolly, das naive junge Ding aus Coventry, das davon träumte, seinen Liebsten zu heiraten und mit ihm bis ans Ende seines Lebens in einem Bauernhaus an einem Bach zu leben; auf der anderen stand eine gewisse Dorothy Smitham, Freundin der schillernden, reichen Vivien Jenkins, die Gefährtin und Erbin von Lady Gwendolyn Caldicott – eine erwachsene Frau, die es nicht nötig hatte, sich eine komplizierte Zukunft zusammenzuträumen, weil sie genau wusste, welche fantastischen Abenteuer vor ihr lagen.
Was nicht bedeutete, dass Dolly sich nicht hundeelend gefühlt hätte, als sie einfach so, unter den verwunderten Blicken der Kellner, aus dem Restaurant gestürmt war; aber sie hatte befürchtet, dass sie am Ende Ja gesagt hätte, bloß um ihn nicht zu enttäuschen. Und was wäre das Ergebnis gewesen? Dann würde sie jetzt zusammen mit Jimmy und Mr. Metcalfe in einer heruntergekommenen kleinen Mietwohnung hausen und sich jeden Tag von Neuem fragen, wo sie das Geld für die nächste Kanne Milch hernehmen sollte. Und Lady Gwendolyn? Die alte Dame war ihr gegenüber so großzügig, sie betrachtete Dolly praktisch als Familienangehörige; wie hätte sie sich wohl gefühlt, wenn sie zum zweiten Mal im Stich gelassen worden wäre? Nein, Dolly hatte das Richtige getan. Bei ihrem letzten Mittagessen mit Dr. Rufus war sie in Tränen ausgebrochen; auf sein Drängen hin hatte sie sich ihm anvertraut, und er hatte ihr zugestimmt: Sie sei noch so jung, hatte er gesagt, sie habe das ganze Leben noch vor sich. Es bestehe kein Grund, sich schon so früh zu binden.
Kitty hatte natürlich sofort mitbekommen, dass irgendetwas nicht stimmte. Jetzt brachte sie ihren Piloten erst recht bei jeder Gelegenheit mit ins Haus, führte stolz ihren Verlobungsring vor und fragte Dolly scheinheilig, wo denn Jimmy steckte. Die Arbeit in der Kantine war dagegen eine regelrechte Erleichterung. Sie hätte es zumindest sein können, wenn Vivien ab und zu aufgetaucht wäre, um Dolly aufzuheitern. Sie hatten einander nur einmal kurz gesehen, seit Jimmy unangekündigt in der Kantine aufgekreuzt war. Vivien war gekommen, um einen Karton mit gespendeten Kleidern abzuliefern, und Dolly war sofort zu ihr hingegangen, um sie zu begrüßen, aber Mrs. Waddingham hatte sie unwirsch in die Küche zurückgescheucht. Diese alte Hexe. Dolly sollte sich bei der Arbeitsvermittlungsstelle melden, bloß um diese Frau nie wieder sehen zu müssen. Aber das konnte sie sich aus dem Kopf schlagen. Dolly hatte zwar ein Schreiben vom Arbeitsministerium erhalten, aber als Lady Gwendolyn Wind davon bekommen hatte, hatte sie umgehend an
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