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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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gern bieten würde, aber nicht bieten konnte, und zu erleben, wie wohl sie sich in dieser Umgebung fühlte, machte ihm Angst.
    Sie hatte die Schuhe ausgezogen, einen Finger an die Lippen gelegt und mit einer Kopfbewegung nach oben gezeigt. Dann hatte sie ihn, die Pumps an einem Finger baumelnd, an der Hand genommen und die Treppe hochgeführt.
    »Ich werde für dich sorgen, Doll«, hatte Jimmy geflüstert, als sie es in ihr Zimmer geschafft hatten. Ihnen waren die Worte ausgegangen, und sie hatten neben dem Bett gestanden und gehofft, der andere würde etwas tun. Sie hatte gelacht, als er das gesagt hatte, aber er hatte die Verlegenheit in ihrer Stimme gehört, und für diese jugendliche Unsicherheit hatte er sie umso mehr geliebt. Er war selbst ein bisschen verunsichert gewesen, nachdem sie ihn in der dunklen Gasse in Fahrt gebracht hatte, aber als er sie jetzt so lachen hörte und ihre Ängstlichkeit spürte, war Jimmy wieder Herr der Lage, und plötzlich war die Welt wieder in Ordnung.
    Am liebsten hätte er ihr das Kleid vom Leib gerissen, aber stattdessen schob er vorsichtig seine Hand unter einen ihrer schmalen Träger. Ihre Haut war warm, trotz der kühlen Nacht, und als er spürte, wie sie unter seiner Berührung zu zittern begann, blieb ihm fast die Luft weg. »Ich werde für dich sorgen, Doll«, sagte er noch einmal. »Immer.« Diesmal lachte sie nicht, und er küsste sie. Gott, wie schön das war. Er hatte das rote Kleid aufgeknöpft und die Träger von ihren Schultern geschoben, sodass es zu Boden glitt. Sie stand stumm vor ihm, ihre Brüste hoben und senkten sich mit jedem Atemzug, und dann lächelte sie. Es war dieses für sie typische, leicht schiefe Grinsen, das immer wieder dieselbe aufreizende Wirkung auf ihn ausübte, und ehe er wusste, wie ihm geschah, hatte sie ihm das Hemd aus der Hose gezogen …
    Wieder explodierte eine Bombe, und Gipsstaub rieselte aus den Stuckverzierungen über der Tür. Jimmy zündete sich eine Zigarette an, während die Flakgeschütze auf den Angriff antworteten. Dolly schlief immer noch, ihre Wimpern lagen auf ihren flaumigen Wangen. Zärtlich streichelte er ihren Arm. Was für ein Narr war er gewesen, was für ein kompletter Narr, sie nicht zu heiraten, als sie ihn so flehentlich darum gebeten hatte. Ihm hatte die Distanz zu schaffen gemacht, die zwischen ihnen entstanden war, ohne sich klarzumachen, dass er seinen Teil dazu beigetragen hatte. Die überholten Vorstellungen von Ehe und Wohlstand, an die er sich geklammert hatte. Sie an diesem Abend zu erleben, zu begreifen, wie leicht er Dolly an diese neue Welt hätte verlieren können, in die sie geraten war, hatte ihm die Augen geöffnet. Er konnte von Glück reden, dass sie auf ihn gewartet hatte, dass sie ihn immer noch liebte. Lächelnd schob er ihr das dunkle, glänzende Haar aus dem Gesicht. Dass er jetzt hier neben ihr lag, war Beweis genug.
    Sie würden anfangs in seiner Wohnung leben müssen – nicht gerade das, was er sich für Dolly erträumt hatte, aber sein Vater fühlte sich mittlerweile dort zu Hause, und es hatte keinen Zweck umzuziehen, solange noch Krieg war. Wenn das alles erst einmal vorbei war, konnten sie sich nach einer Mietwohnung in einem besseren Viertel umsehen, vielleicht sogar mit der Bank über eine Hypothek reden und sich etwas Eigenes kaufen. Jimmy hatte ein bisschen gespart – schon seit Jahren sparte er jeden Penny, den er erübrigen konnte –, und sein Redakteur war davon überzeugt, dass er mit seinen Fotos einmal gut verdienen würde.
    Er zog an seiner Zigarette.
    Vorerst musste eine Kriegshochzeit genügen, das war keine Schande. Er fand es sogar regelrecht romantisch – Liebe in Zeiten der Not. Dolly würde großartig aussehen, egal was sie anzog, ihre Freundinnen konnten als Brautjungfern dienen – Kitty und die neue Freundin, Vivien, wenn es denn sein musste –, und Lady Gwendolyn Caldicott würde vielleicht die Rolle ihrer Eltern übernehmen können. Den passenden Ring hatte Jimmy schon. Er hatte seiner Mutter gehört, und er hob ihn in einer mit schwarzem Samt bezogenen Schachtel in seiner Nachttischschublade auf. Seine Mutter hatte den Ring zusammen mit einem erklärenden Brief auf dem Kopfkissen seines Vaters hinterlassen, als sie gegangen war. Seitdem hatte Jimmy ihn gehütet; anfangs mit der Absicht, ihn seiner Mutter zurückzugeben, wenn sie wieder nach Hause käme, später als Andenken an sie. Aber irgendwann hatte er beschlossen, ihn eines Tages der Frau zu

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